und die Brasserie Ora
Die Oranien-Apotheke
Brasserie Ora
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▮ Apotheken in Berlin
Einleitung1
Bild und Text: Lutz Röhrig
Als ich das letzte Mal in jene Apotheke am Erkelenzdamm ging, machte ich mir bereits Sorgen, was denn nach dem Ruhestand des langgedienten Apothekers mit der Ladeneinrichtung werden würde.
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Doch glücklicherweise sollten sich diese Sorgen als unbegründet erweisen. Denn ganz im Gegenteil zu den Befürchtungen reüssierte die Apotheke zu einem unerwarteten "Dritten Leben"…
| Einige der ältesten Häuser Kreuzbergs befinden sich längs des ehem. Luisenstädtischen Kanals. So auch das Haus Elisabethufer 19 (ab 1867 Nr. 35, heute Erkelenzdamm). Die Apotheke entstand 1860, dem Jahr der Fertigstellung des von Leberecht Adler und A. Berger errichteten Gebäudes.
ErstesLeben2
| Fassadendetails des Gebäudes Erkelenzdamm 1. Die Beschriftung "Apotheke" wurde belassen. Hinter den vergitterten Kellerfenstern befand sich das Labor für die Arzneimittelherstellung, bevor diese ins Nachbarhaus verlegt wurde.
Bereits kurz nach Fertigstellung des von Leberecht Adler und A. Berger 1860 errichteten Mietshauses am damaligen Elisabethufer 19 (ab 1867 Nr. 34, heute Erkelenzdamm 1) eröffnete hier der Apotheker der Charité, Dr. Rudolph Ernst Emil Kade, die „Oranien – Apotheke“.
Kade, welcher zuvor in der Louisenstraße 13 (einem Gebäude der Charité) gewohnt hatte, richtete sich auch privat in dem von ihm erworbenen Gebäude ein. Es muss offen bleiben, ob das Mietshaus eigens für Kade errichtet worden war. Am 7. Juni 1860 erhielt Kade die offizielle Konzession für seine Apotheke. Im Laufe der Zeit erwirbt Dr. Kade auch das Nachbarhaus Elisabethufer Nr. 35 (heute Erkelenzdamm 3), in dem er sich als "Rentier" zurückzieht.
1874 übernimmt Kades Sohn, Richard Heinrich Kade, die Leitung der Apotheke. Er verkaufte sie aber bereits drei Jahre später an Carl Friedrich Ernst John. John übergab diese nach 12-jährigem Betrieb 1886 an Dr. Franz Albert Lutze.
glanzzeit3
Mit Dr. Lutze begann ein völlig neues Kapitel in der Geschichte der Oranien- Apotheke. Dieser erweiterte das der Apotheke zugehörige Labor, um hier Apotheken- und Krankenhauseinrichtungen sowie medizinisches Material herzustellen und auszuliefern. Hauptabsatzgebiet waren insbesondere die deutschen Kolonien und die dort stationierten "Schutztruppen", die er unter dem werbewirksamen Ehrentitel „Hoflieferant des Kaisers und Königs“ belieferte. Auch die Bordapotheke der kaiserlichen Yacht „Hohenzollern“ wurde von Dr. Lutze versorgt.
Seine 1908 wegen Platzmangel aus dem Hinterhaus der Apotheke am Oranienplatz in das benachbarte, inzwischen gleichfalls Lutze gehörende, Fabrikgebäude Elisabethufer 35 verlegte Firma benannte er nach dem einstigen Begründer der Apotheke „Dr. Kade Pharmazeutische Fabrik GmbH“.
| Das Gebäude der Apotheke 2017. Rechts schließt sich das Fabrikgebäude an, in dem ab 1908 die Firma "Dr. Kade" produzierte.
| Das Innere der Apotheke um 1890. Foto mit freundlicher Genehmigung der Dr. Kade, Marienfelde.
| Das Labor der Oranien - Apotheke um 1890. Foto mit freundlicher Genehmigung der Dr. Kade, Marienfelde.
| Die Verkaufstheke der Apotheke um 1890. Foto mit freundlicher Genehmigung der Dr. Kade, Marienfelde.
| Ein Vergleich mit der alten Aufnahme links zeigt: Große Teile der alten Möbel blieben erhalten. Das Mobiliar dient nun als Bartresen, Kuchentheke oder Wandregal für Gläser usw.
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| Der Innenraum der ehem. Apotheke heute. Seit 2015 befindet sich hier die "Brasserie Ora". Das Anliegen der neuen Besitzer war es, die wertvolle Einrichtung unter Hinzufügung passender, für den Gaststättenbetrieb notwendiger Ergänzungen zu erhalten.
Der Erste Weltkrieg und damit der Verlust der Kolonien stellte die Firma "Dr. Kade" vor neue Herausforderungen. Ab 1919 übernehmen zusehends die Söhne Dr. Franz Albert Lutzes, Felix und Werner, leitende Aufgaben innerhalb des Unternehmen. Mit dem Tod Dr. Franz Lutzes 1923 übernimmt seine Frau, Frieda Lutze, die "Dr. Kade", weiterhin unterstützt von den beiden Söhnen. Die Oranien - Apotheke wird nun endgültig vom Unternehmen getrennt und zunächst an Pächter abgegeben.
Ab 1923 besteht eine enge Kooperation zwischen der "Dr. Kade Pharma" mit dem japanischen Unternehmen Maruho, das den dortigen Markt insbesondere für das 1922 entwickelte Hämorrhoiden-Mittel „Posterisan“ - bis heute einer der Hauptumsatzträger der "Dr. Kade" - öffnete.
1934 beschließt Frau Frieda Lutze den Neubau des Gebäudes Elisabethufer 35, welcher 1935 nach den Plänen des Architekten Günther Wenzel errichtet wird und den Anforderungen einer modernen Arzneimittelproduktion jener Jahre besser genügt.
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Den Zweiten Weltkriegs überstanden das Firmengebäude wie auch die Apotheke weitgehend unbeschadet. 1949 verstarb Frieda Lutze, das Unternehmen "Dr. Kade" wird nun von Dr. Marietta Lutze - Sackler geleitet, der Tochter von Felix Lutze. 1960 erfolgte die Umwandlung der "Dr. Kade" in eine GmbH, deren Anteilseigner neben Frau Lutze - Sackler ihre Kinder Denise Marika Sackler und Arthur Sackler (seit 1975 geschäftsführender Gesellschafter) sind.
Das noch heute in Familienbesitz befindliche Unternehmen "Dr. Kade" (mit bekannten Produkten wie KadeFungin3 und Marken wie „Sanostol“, „Riopan“ oder den vor Kurzem übernommenen „Hexal“ - Präparaten) verlegte auf Grund des Mauerbaus und der politisch unsicheren Situation West – Berlins 1962 einen Teil der Produktion nach Konstanz.
| Die im angeschnittenen Winkel nach oben verlaufende Treppe zum ehem. Offizin, welches selbst ebenfalls als Gastraum zur Verfügung steht. Das Offizin besitzt noch heute die typischen Apotheken - Fächer mit der an Deckenschienen laufenden Leiter...
| Das Werk der Dr. Kade Pharma in der Marienfelder Rigistraße.
Der Hauptsitz verblieb jedoch zunächst weiterhin am Kreuzberger Erkelenzdamm. 1982 wurde in der Marienfelder Rigistraße ein moderner Neubau in Betrieb genommen und die Produktion aus Kreuzberg dorthin überführt. Nach der Wende fand eine erneute Umstrukturierung statt. Das Werk Konstanz wurde bis 2019 geschlossen. 2018 erfolgte der Umzug der kaufmännischen, medizinischen und zentralen Bereichen des Unternehmens, die bisher in Marienfelde auf zwei Standorte verteilt waren, ins Tempelhofer Ullsteinhaus.
Auf einer kompletten Etage, insgesamt rund 3900 qm, finden dort 110 Mitarbeiter eine neue hochmoderne Arbeitsumgebung, die jedoch sensibel mit dem Denkmalschutz abgestimmt wurde. So mussten etwa die aus Betonstützen und -Balken samt verstärkenden Vouten bestehende Struktur des Gebäudes weiterhin ablesbar bleiben. Die mit dem "Sanierungspreis 2019" ausgezeichneten Arbeiten erfolgten durch die Bohle Innenausbau GmbH & Co. KG in Berlin.
ZweitesLeben6
Letzter Pächter der Oranien - Apotheke war bis 2013 Klaus Dallmann. Nach dessen Ruhestand schienen die Würfel im Hinblick auf den Erhalt der wertvollen historischen Inneneinrichtung gefallen zu sein. Schon hieß es, dass wohl eine der üblichen Restaurants oder Szene – Gaststätten den Zuschlag des Eigentümers erhalten würde – mit entsprechender Konsequenz für das modern zu ersetzende Mobiliar. Doch es sollte anders kommen – zum Glück, wie ich als gebürtiger Kreuzberger angesichts vieler negativer Beispiele nur sagen kann.
Denn im April 2015 wurde die ehemalige „Oranien – Apotheke“ nach umfangreichen Renovierungen wiedereröffnet. Die historischen Möbel blieben dabei Dank der Intention der neuen Inhaber, dem Filmemacher Lukas Schmid und des Fotografen Christoph Mack, erhalten und dienen nun der „Brasserie Ora“ als Bartresen, Aufbewahrungsort für Gläser oder ganz einfach als Dekoration – z. T. gefüllt noch immer mit zahlreichen Utensilien wie z. B. Apothekerwaagen samt Gewichten aus dem „Vorleben“ der Räumlichkeiten am Oranienplatz. Man kann inzwischen mit einem gewissen Recht behaupten, dass am Oranienplatz eines der reizvollsten Cafés in Berlin entstanden ist. Und auch die hier angebotenen Kuchen und Getränke haben Franzi und mich überzeugt. Ich bedanke mich an dieser Stelle bei Herrn Lukas Schmid und seinen Mitarbeitern für die freundliche Gewährung eines Fototermins.
| Die zum Bartresen umgestaltete ehem. Verkaufstheke. Effektvoll stehen die alten Apothekerschränke im Hintergrund und dienen nun zur Bereitstellung von Gläsern.
| Das Eckhaus noch zu Zeiten der Apotheke. Eher zufällig einmal bei einer Dokumentation des ehem. Luisenstädtischen Kanals von mir aufgenommen.
| Auch die aufwendige Deckenornamentik blieb - wo noch vorhanden - erhalten.