ZEITGESCHICHTE
Berliner Märzkämpfe 1919
Seltene Fotografien
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Fotos1
Text: Lutz Röhrig. Fotos: Kerstin Möhlenbrock
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Und so begann auch im Fall jener rätselhaften, dem Vater einer Leserin gehörenden Fotografien mit der Darstellung von offenbar kriegerisch intendierten Szenarien wieder eine spannende Suche nach Hintergründen und Fakten. Diesmal sollte die Reise in das bewegte Jahr 1919 führen, mitten hinein in die sog. „Märzkämpfe“...
| Soldaten vor als Deckung dienenden Papierrollen.
Ausgangslage2
| Selbst die Georgenkirche am Alexanderplatz ist schwer von Artillerietreffern gezeichnet. Die Kirche war vom Architekt Johannes Otzen (u. a. auch Heilig-Kreuz-Kirche in Kreuzberg) entworfen worden und wurde 1898 vollendet. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie schwer beschädigt, gleichwohl sollte sie von der Kirchengemeinde wieder aufgebaut werden. Dies verbot jedoch der Ost-Berliner Magistrat. 1949 wurde die Georgenkirche gesprengt.
Der Erste Weltkrieg war zwar vorüber, dafür tobte in den Straßen die Revolution. Dabei handelte es sich keineswegs um einen geschlossenen Aufstand, der irgendwann in die Republik von Weimar einmündete, sondern um eine Vielzahl von Streiks, Aufständen und Putschversuchen mit jeweils unterschiedlichen Akteuren und Zielsetzungen. Der blutigste dieser Aufstände waren zweifelsohne die sog. „Märzkämpfe“ vom 3. bis 19. März 1919, die über 1200 Todesopfer kosten sollten.
Ausganssituation war die Vollversammlung der Arbeiter- und Soldatenräte in Berlin, die sich aus Angehörigen der SPD, USPD, KPD sowie Teile der DDP zusammensetzte. Hauptforderungen waren hier eine Demokratisierung des Heeres - vor allem sollten die konterrevolutionären Freikorps aufgelöst und eine "Volkswehr" bzw. "Rote Garde" gebildet werden - , eine Reform der Verwaltung im demokratischen Sinne und eine Umstrukturierung der Wirtschaft. Letzteres sollte durch eine Übernahme der Produktion durch den Staat oder den Beschäftigten geschehen.
Ebenfalls gefordert: die juristische Aufarbeitung der Schuldfrage am Ersten Weltkrieg, Verhaftung der Personen, die an politischen Morden beteiligt waren sowie die Auflösung der Militärgerichtsbarkeit. Alle Forderungen gingen aus der sog. „Novemberrevolution“ hervor und fanden ihren Ausdruck 1918 im „Reichsrätekongress“. Diese bis dahin uneingelösten Forderungen sollten am 3. März 1919 in einem deutschlandweiten Generalstreik, zu dem Linke und KPD aufriefen, durchgesetzt werden.
Generalstreik3
Die Reichsregierung der Weimarer Koalition aus SPD, DDP und Zentrum wollte eine „Räterepublik“ unbedingt verhindern, obwohl überhaupt noch nicht klar war, ob und in welcher Form die "Räte" weiterhin an einer Regierung beteiligt sein sollten. Sie sah sich durch den allgemeinen Generalstreik, welcher nun nicht nur Berlin, sondern auch andere Regionen wie zum Beispiel Thüringen und damit auch Weimar, wohin sich die Regierung zurückgezogen hatte, betraf, nun regelrecht eingekreist.
Am 3. März, dem Beginn des Generalstreiks, kam es zu ersten Plünderungen und zum Überfall auf Polizeireviere. Das preußische Staatsministerium nahm dies zum Anlass, nun den Belagerungszustand über Berlin zu verhängen.
| Das wegen seiner Ziegelarchitektur als "Rote Burg" bezeichnete Polizeipräsidium am Alexanderplatz erhielt durch den Artillerieeinsatz schwere Treffer. Der Ursprungsbau wurde unter der Leitung des Stadtbaurates Hermann Blankensteins errichtet, die Erweiterung im Jahr 1900 durch Paul Thoemer. Im zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, wurden die letzten Reste 1957 abgeräumt. Heute steht hier das Einkaufszentrum "Alexa".
Rechts4
| Zerschossene Häuser am Alexanderplatz Ecke Prenzlauer Straße (heute Karl-Liebknecht-Straße).
Am 4. März begann auf Befehl Friedrich Eberts der Einmarsch von Freikorpsverbänden sowie Militäreinheiten des Generalstabs in die Stadt. Die Einheiten des Generalstabs bestanden vor allem aus der Garde-Kavallerie-Schützen-Division unter dem Kommando des Generalleutnants Heinrich von Hofmann.
Faktisch wurde die Division jedoch von ihrem ersten Generalstabsoffizier Hauptmann Waldemar Pabst geführt. Oberbefehlshaber des zuständigen Generalkommandos für Berlin und Umgebung war General Walther von Lüttwitz, welcher wie Pabst später auch zu den Hauptakteuren des rechtsintendierten "Kapp - Putsches" gehören sollte.
Gefechte5
Die Kämpfe in Berlin hatten vor allem die östlichen Stadtviertel rund um den Alexanderplatz zum Schwerpunkt. Hier kam es zu ersten schweren Gefechten zwischen der Garde - Kavallerie - Schützen - Division und einer Einheit der „Volksmarinedivision“, die ihrerseits zuvor von „Deutschen Schutztruppen“ grundlos angegriffen worden waren.
Ein vielleicht für den gesamten Verlauf der Märzkämpfe symptomatischer Vorgang, bei dem gezielte Provokationen und das Streuen falscher Gerüchte zu einer unnützen, den rechtsgerichteten Freikorpsverbänden und Divisionsangehörigen in die Hände spielenden, Verschärfung der Situation führten.
| Eckhaus mit Kneipe in der Alten Schützenstraße. Die Straße verlief von der damaligen Prenzlauer Straße (heute Karl-Liebknecht-Straße) bis zur Neuen Königsstraße (Otto-Braun-Straße) und besteht heute nicht mehr.
Methode6
| Gebäude in der Alten Schützenstraße. Rechts ist im Anschnitt noch das Eckhaus mit der Kneipe zu sehen.
So beruhte auch der nicht gesetzlich gedeckte Befehl Gustav Noskes, dass jeder Bewaffnete sofort von Freikorps- und Regierungstruppen zu erschießen sei, letztlich auf dem – falschen - Gerücht, dass von den Aufständischen 60 Polizisten ermordet worden seien. Zwei geheime Zusatzbefehle des rechtsgerichteten Offiziers Waldemar Pabst, das Wohnungen und Gebäude systematisch zu durchsuchen seien und jeder zu erschießen ist, bei dem eine Waffe aufgefunden wurde, lagen derselben Intention zu Grunde.
Schließlich war allgemein bekannt, dass viele Veteranen des Ersten Weltkriegs noch Waffen als Andenken aufbewahrten. Letztlich stellten die Befehle eine Art Freibrief für willkürliche Hinrichtungen, die nun auch auf bloßen Verdacht oder nach Denunziationen erfolgen konnten, dar.
Die Märzkämpfe endeten schließlich mit der gewaltsamen Einnahme Lichtenbergs durch Regierungstruppen am 13. März 1919, bei der es zu Massakern und Scheingerichtsverhandlungen im Lokal "Schwarzer Adler" kam.
Fazit7
Der Einsatz von rechtsgerichteten Armeeeinheiten und Freikorpsverbänden trug jedoch bereits die Saat des Untergangs der Weimarer Republik in sich. Die Demokratie hatte sich als noch so schwach erwiesen, dass sie auf die alten Führungseliten zurückgriff, statt auf jene Soldaten, die ihr nahestanden.
Kurze Zeit später sollten sich mit dem sog. Kapp - Putsch eben jene Offiziere, die zuvor noch scheinbar die Weimarer Koalition unterstützt hatten, nun ganz direkt gegen die demokratische Regierung richten. Viele der putschenden Soldaten und Offiziere trugen als Ausdruck ihrer Gesinnung ein Hakenkreuz am Helm. Aus rechtsgerichteten Militärangehörigen speiste sich schließlich dann auch die Anhängerschaft Hitlers. Das Ende ist bekannt.
| Das "Volks-Marinehaus" (gegenüber dem Märkischen Museum. Das Gebäude besteht bis heute) nach der Erstürmung durch Regierungstruppen.