Schmidt Grabmale
Neuköllns letzter Steinmetzbetrieb
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1 | Neuköllns letzter Steinmetz
An der Hermannstraße in Neukölln wird die Zahl der alteingesessenen Betriebe immer weniger - insbesondere derjenigen, die am Rande der diversen Friedhöfe angesiedelt sind, die noch immer das Bild dieses Straßenzugs in seinem mittleren Teil prägen. Doch längst finden auf vielen dieser Begräbnisplätze keine Bestattungen mehr statt. Alte Gräber bleiben lediglich noch bis zum Fristablauf.
Der Evangelische Friedhofsverband Berlin-Stadtmitte hat neue Pläne - und so ist auf den Friedhöfen an der Hermannstraße statt dem Glockengeläut der Friedhofskapellen meist der Lärm von Baukränen zu hören. Geschäfte wie der „Zauberkönig“ mussten bereits ihre alten Standorte am Rande der Friedhöfe räumen. Im Fall des St. - Jacobi-Friedhofs, auf dem seit 2019 keine Bestattungen mehr stattfinden, sollen auf dem Friedhofsgelände allerdings keine Neubauten errichtet werden. Der Friedhofsverband hat mit dem gemeinnützigen Unternehmen "Nomadisch Grün" einen Vertrag abgeschlossen, das dem bereits aus Kreuzberg bekannten Projekt "Prinzessinnengärten" Teile des Areals zur Verfügung gestellt werden.
Durch die Umwandlung des Geländes durch den Evangelischen Friedhofsverband zu einer reinen Grünanlage steht nunmehr fest, das auch der seit 75 Jahren bestehende Traditionsbetrieb von „Schmidt Grabmale“, welcher bereits zum 30. Juni 2021 seine Kündigung erhalten hat, nun das Gelände an der Herrmannstraße 100 verlassen muss. Der Bezirk Neukölln verliert damit nicht nur ein weiteres angestammtes Unternehmen, sondern zugleich auch seinen letzten Steinmetzbetrieb.
| Herr Damerau, Inhaber von "Schmidt Grabmale", neben seinem Büro. Erkennbar bewegt erzählte er seinen Werdegang und Episoden aus der nun schon über 75 Jahre währenden Geschichte des Unternehmens, die nun auf Grund der Planungsabsichten des Evangelischen Friedhofsverbands ihr Ende finden soll.
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2 | Der Besuch in Neukölln
Die Nachricht von der drohenden Räumung war Anlass, Herrn Eberhard Damerau, dem Inhaber von „Schmidt Grabmale“ mit meiner Kamera zu besuchen. Als ich in sein Büro eintrat saß er gerade an seinem Schreibtisch, um Kundenbestellungen entgegenzunehmen.
Nach der Begrüßung erklärte mir Herr Damerau, dass der Betrieb noch immer produktiv sei. Gern hätte er diesen daher an seine Tochter, die gleichfalls den Beruf des Steinmetzes erlernt hat, übergeben. Doch die Entscheidung der Friedhofsverwaltung mache nun diesen Plan zunichte. Man spürt die Emotionen, die mit der Aufgabe des Betriebs, welcher einst in den bitteren Nachkriegsjahren von seinem früheren Lehrherren Willy Schmidt aufgebaut worden war, verbunden sind.
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3 | Der Beginn im Jahre 1945
Begonnen hat alles wenige Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs am 15. November 1945, als Herr Willy Schmidt ein Gewerbe für Steinmetz- und Bildhauerhandwerk anmeldete. Schmidt bezog zunächst eine Garage bei einem Britzer Steinmetzbetrieb.
Die Arbeitsteilung war hier klar geregelt. Während der Britzer Inhaber trotz der regelmäßigen Stromsperren versuchte, Grabsteine mit seinen Maschinen zu polieren, ging Schmidt ins benachbarte Umland, um hier den Großziethener Bauern die Namen von verstorbenen Angehörigen in die Grabsteine zu meißeln.
Blieben diese Aufträge aus, so schickte Schmidt seinen 13-jährigen Sohn Peter in die Ruine der Reichskanzlei, um von dort Stücke des roten Marmors der Türfüllungen zu „organisieren“, aus denen sich bei den Amerikanern begehrte Schreibutensilien herstellen ließen.
Als „Währung“ dienten in allen Fällen die in der von Hunger gezeichneten unmittelbaren Nachkriegszeit kostbaren Lebensmittel. Willy Schmidt hatte im Krieg eine Tochter und seine erste Frau verloren. Nach dem Krieg lernte er bei der mit ihm befreundeten Familie Rüdiger seine zweite Frau kennen, die er 1946 schließlich heiratete. Bei den gemeinsamen Spaziergängen kam das Paar oft an einen ehem. Löschteich an der Hermannstraße vorbei, auf den er stolz mit den Worten zeigte, dass hier eines Tages seine eigene Werkstatt entstehen würde...
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4 | Die Werkstatt an der Hermannstraße
Ein Jahr später war es soweit: 1947 begannen die Arbeiten für die von ihm lang ersehnte eigene Werkstatt auf dem Gelände des St. Jakobi Friedhofs an der Hermannstraße. Zuerst wurde der relativ tiefe Löschteich mit Schutt und Trümmern der umgebenden Häuser gefüllt. Seinem Sohn Peter aus erster Ehe oblag dann die schwere Planierarbeit.
Baumaterial für das nun neben dem zugeschütteten Löschteich entstehende Büro- und Werkstattgebäude mussten auf Grund der strikten Reglementierungen ebenso findig „organisiert“ werden wie der Marmor aus der Reichskanzlei.
Peter Schmidts Großvater mütterlicherseits übernahm ein Teil dieser Aufgabe und besorgte Fichtenstämme aus dem nun in der Sowjetisch besetzten Zone liegenden Königswusterhausen. Schmidts Neffe war Zimmermann und so entstand die heute noch bestehende Baracke.
Nach dem Ende der ersten Mangeljahre schickte Willy Schmidt seinen Sohn auf die damalige Neuköllner Ingenieurschule für Bauwesen, die er in den Jahren 1951 – 1954 besuchte.
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5 | Herr Damerau. Lehre und Übernahme
Am 1. April 1961 begann der heutige Inhaber, Eberhard Damerau, im Alter von 16 Jahren seine Ausbildung zum Steinmetz bei Willy Schmidt – und wurde danach als Geselle in den prosperierenden Betrieb übernommen. Die gute Auftragslage machte einen Ausbau der Werkstatt erforderlich, denn die zu diesem Zeitpunkt 12 Mitarbeiter brauchten für ihre anstrengende Tätigkeit auch genügend Platz. 1965 mussten die Büro- und Werkstattgebäude erneut erweitert werden. Die einst zuerst entstandene Baracke wurde in ihrer Tiefe vergrößert, das benachbarte Bürogebäude an der Hermannstraße ebenfalls. Hier wurde die Durchfahrt zum Friedhofsgelände durch Glasbausteine geschlossen und an das Bürogebäude ein weiterer Raum angefügt. Die Wände des im rechten Winkel zur alten Baracke 1952 errichteten offenen Werkstatt- und Lagergebäude wurden nun geschlossen und das Gebäude mit Türen versehen. Die hier untergebrachten neuen Maschinen zum Sägen und polieren der Grabsteinrohlinge blieben bis heute in Betrieb.
Das Verhältnis zwischen dem Chef Willy Schmidt, dessen Sohn Peter und Herrn Damerau war überaus herzlich, wie aus vielen humorvollen Erzählungen hervorgeht. Umso schwerer wog daher die Nachricht, dass am 11. Juni 1972 Willy Schmidt bei einer Bergwanderung in Ruhpolding der Tod ereilt hatte. Sein Sohn Peter übernahm nun die Firma. 1983 erwarb Herr Damerau die Meisterwürde und hielt sich bereit, eines Tages den Betrieb in Eigenregie zu übernehmen. Im Jahre 2000 war es dann soweit. Für 300.000 Mark übernahm er nun die Werkstatt, die er in der Hoffnung auf eine Übergabe an die Tochter bis zuletzt erfolgreich betreiben sollte.
| Das Firmengelände von "Schmidt Grabmale" um 1949. Die Werkstattbaracke ist längst fertiggestellt, nach rechts zur Hermannstraße gibt es einen kleinen hölzernen Anbau. Dort, wo einst mit Trümmerschutt ein alter Löschteich aus der Kriegszeit verfüllt worden war, befindet sich nun eine größere Ausstellung von Muster-Grabsteinen.
| 1952 wurde das Firmengelände erweitert. Es entstand an Stelle des kleinen hölzernen Anbaus zur Hermannstraße ein fester Steinbau unter Einbezug der alten Friedhofsmauer, der nun das Büro beherbergte. Im rechten Winkel zur alten Baracke wurde zudem ein überdachter Lager- und Arbeitsplatz eingerichtet.
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| Herr Damerau erklärt in seiner direkt neben dem Büro gelegenen Werkstatt (der ehem. Baracke von 1949), wie Buchstaben auf den Stein befestigt werden. Bereits gebohrt wurden von ihm die Löcher, in denen später die Buchstaben eingebracht werden. Deutlich ist zu sehen, wie breit einst die 1949 errichtete alte Baracke gewesen ist. Die quer den Raum teilende Zwischenwand war zuvor die Außenfront. 1965 kaum durch die Hinzunahme der ehem. Durchfahrt der Bereich mit den Stühlen und der kleine rechts zu sehende Raum hinzu.
6 | Das Ende eines Traditionsbetriebs
Doch statt der Übergabe des Betriebs an seine Tochter wird Herr Damerau das Gelände an der Hermannstraße Ende Juni 2021 verlassen müssen. Die Kündigung durch die Kirchengemeinde liegt längst vor. Während unseres Gespräches war ihm anzumerken, dass ihm der Verlust jener Arbeitsstätte, in der er von der Ausbildung zum Steinmetz durch Willy Schmidt bis hin zur Übernahme des Betriebs aus der Hand von Schmidts Sohn Peter fast sein ganzes Berufsleben verbrachte, doch recht nahe ging.
Zwar hat sich in den letzten Jahren vieles verändert, erklärt Damerau, so gehe der Trend beispielsweise immer mehr zu anonymen Bestattungen, die keine Grabsteine mehr benötigten. Auch die Gravur von Namenszügen erfolge heute oft mit Lasertechnik.
Doch Dameraus Betrieb arbeitete bis zuletzt höchst erfolgreich. Viele Arbeiten können nur mit großer Erfahrung durchgeführt werden. An Aufträgen mangelt es daher nicht. Doch eine Verlegung des Betriebes an einem anderen Ort ist nicht so ohne weiteres möglich. Gearbeitet werden darf nur an einem Platz, an dem auch mit schweren und daher doch lärmintensiven Maschinen Steine poliert oder geschnitten werden können. Dameraus Zweigstelle in Buckow komme dafür auf Grund der dortigen Lärmauflagen nicht in Frage. Hier gibt es daher bislang nur eine Ausstellung seiner Arbeiten.
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7 | Nachbetrachtung und ein Dankeschön
Es ist schade, dass aufgrund des allgemeinen Bedarfs an Wohnraum und zugehöriger Grünflächen immer mehr Grundstücke den noch bestehenden Gewerbebetrieben entzogen werden. Auch für den rund 75 Jahre alten Steinmetzbetrieb an der Hermannstraße kam damit das Ende.
Ich möchte mich an dieser Stelle für das nette Gespräch mit Herrn Damerau bedanken, der mich durch seinen Betrieb führte und mir dabei all die vielen großen und kleinen Begebenheiten, die einen Traditionsbetrieb so ausmachen, erzählte.
| Rechts der überdachte Eingang zum Büro. In Bildmitte die ehemalige Baracke, die zur Werkstatt ausgebaut worden ist und in welcher mir Herr Damerau das Befestigen von Buchstaben auf Grabsteinen erklärte. Links geht es in das zweite Werkstattgebäude, in dem sich die schweren Maschinen zum Schneiden und polieren von Grabsteinen befinden.
| Ein letzter Blick aus der ehem. Baracke und Werkstatt zur Hermannstraße.
| Schmidt Grabmale. Ein bekannter Handwerksbetrieb wird für immer gehen.
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8 | Neukölln 48 Stunden. Alexander Steffen
Im Rahmen des Festivals "Neukölln 48 Stunden" kehrte 2026 noch ein letztes Mal Leben in die längst verlassenen Räume des Steinmetzbetriebes ein. Doch statt Steinsäge und Schleifmaschine konnte der Besucher hier nun Fotos des Fotografen Alexander Steffen und seines Projektes "Vanishing Berlin" betrachten.
Inhaltlich in gewisser Weise kompatibel zu "zeit-fuer-berlin.de" geht es auch Alex Steffen seit 2009 um die Dokumentation des sich rasant verändernden städtischen Raumes in Berlin.
"Er fotografiert", so heißt es in der Beschreibung des Verlags, "Orte, an die wir uns mit Wehmut erinnern werden, obwohl wir noch nicht einmal ahnten, dass wir sie jemals vermissen würden. Eine Motive sind vor allem Ladenfronten, Brachen und Brandmauern - flüchtige Sehenswürdigkeiten quer durch alle Bezirke. Orte, die Berlin charakterisieren und die gleichzeitig in rasantem Tempo aus dem Stadtbild verschwinden."
Vita Alexander Steffen
Alexander Steffen (*1967) geboren und aufgewachsen in West-Berlin. Kindheit in einer Wohngemeinschaft in Schöneberg. Politik-Studium an der FU Berlin. Ausbildung im Fotoverlag Dirk Nishen am Tempelhofer Berg und in London. Begegnung mit Allen Ginsberg und seinen Reality Sandwiches. Redakteur einer Fotobiografie über William S. Burroughs. Nach dem Mauerfall unterwegs in den Techno Clubs und Ruinen von Berlins neuer Mitte. Von 1999 bis 2005 Betreiber der Galerie und Agentur "transition" in der Oranienstraße in Kreuzberg. Seit 2005 Mitarbeiter der Berlinale. 2009 Beginn des VANISHING BERLIN Projekts. Seitdem regelmäßige Ausstellungen und Veröffentlichungen.























