Bahnhofstraße 5-6
Postamt Lichtenrade
Bahnhofstraße 5-6
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Institution1
1 | Das Ende einer Lichtenrader Institution
Bild und Text: Lutz Röhrig
Bereits seit Längerem ist die Deutsche Post AG dabei, einen Großteil ihrer Immobilien, wozu auch zahlreiche der einstigen Postämter gehören, zu veräußern. An Ihre Stelle treten Postagenturen, deren Inhaber neben ihrem jeweiligen Kerngeschäft auch Postdienstleistungen anbieten. Ein Konzept, wie es im Grunde bereits in der Frühzeit der Post mit ihren von Handwerkern, Bauern oder Schullehrern geleiteten und in deren Häusern betriebenen zahlreichen Poststellen bestand. Man denke etwa an das Büdnerhaus in Alt-Lichtenrade, in welchem der Schneidermeister Carl Schulze ab 1893 eine solche Poststelle unterhielt.
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Auch das Gebäude in der Lichtenrader Bahnhofstraße gehörte längst nicht mehr der Deutschen Post AG, sondern der Postbank, die vor einigen Jahren von der Deutschen Bank übernommen worden war. Seither ist die Post in Lichtenrade nur Untermieter - ein Verhältnis nicht ohne Risiko: läuft das Geschäft der Postbank mit Krediten, Wertpapieren und sonstigen Finanzdienstleitungen eher schlecht und beschließt die Deutsche Bank daher die Aufgabe der Postbankfiliale, muss sich auch die Post nach einem neuen Standort umsehen. Am 6. Dezember 2022, nach nunmehr 92 Jahren, erfolgte die Schließung des in der Bahnhofstraße gelegenen ehem. Postamtes 49.
| Post- und Bankbetrieb bestanden noch an der Bahnhofstraße im Herbst 2022. Ebenfalls, seit der Abschaltung am 21. November 2022, Geschichte: Öffentliche Telefonzellen, zu denen auch die modernere Form der offenen Telefonsäule mit seitlichen Glasscheiben und magentafarbenem T gehörte.
Postbaumeister2
| Der aus der Fassadenflucht zurückgezogene Eingangsbereich des ehemaligen Postgebäudes. Die notwendigen Treppen waren so weitestgehend gegenüber der Witterung geschützt und hätten auf dem eher schmalen Gehweg der Bahnhofstraße auch kaum untergebracht werden können.
2 | Ein Postbaumeister aus Halle
Am 15. Juni 1878 wurde in Halle an der Saale der spätere Postbaumeister Willy Hoffmann geboren. 1897 studierte Hoffmann an der Technischen Hochschule in Charlottenburg Architektur und wurde Mitglied im renommierten Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin (AIV). 1907 erhielt er eine Anstellung in der Bauabteilung der Kaiserlichen Reichspost. Als Postbauingenieur war er ab 1911 in Hannover, 1912 in Breslau und ab 1914 schließlich in Berlin tätig. 1920 erfolgte seine Ernennung zum Postbaurat, 1924 zum Oberpostbaurat.
Hoffmanns architektonisches Werk, das überwiegend während seiner Zeit als Berliner Oberpostbaurat entstand, zeigte sich den in der Weimarer Republik vorherrschenden Stilrichtungen des Expressionismus und der späteren Neuen Sachlichkeit verpflichtet. Es entstanden unter seiner Leitung in Berlin das Postamt W 30 in der Schöneberger Geisbergstraße 7-9 (1924-26), das Postamt Niederschöneweide in der Fennstraße 9-11 (1925-26), das Gebäude der Oberpostdirektion in der Charlottenburger Dernburgstraße (1925-28) sowie der Umbau der Schalterhalle des Postamtes Wilmersdorf in der Uhlandstraße 85 (1930).
1930-31 entstand dann das Postamt in der Lichtenrader Bahnhofstraße. Sein letztes bekanntes Projekt war der Bau der beiden Vermittlungsstellen und des Postamtes Halensee am Hochmeisterplatz (Abbruch 2017). 1934 wurde Hoffmann in den Ruhestand versetzt. Er verstarb 1977 in Bad Soden am Taunus.
Postamt3
3 | Das Lichtenrader Postgebäude
Zu Beginn der 1930er Jahre ließ die Oberpostdirektion Berlin eine Reihe von kleineren Post- und Fernmeldeämtern in den Außenbezirken errichten (u. a. Hohenschönhausen, Hermsdorf, Kaulsdorf), die entsprechend der Zeit in der Stilistik der „Neuen Sachlichkeit“ ausgeführt wurden. Zu diesem Bauprogramm gehörte auch das Postamt Lichtenrade, für dessen Planung der Oberpostbaurat Willy Hoffmann verantwortlich war und welches das noch in einem Mietshaus untergebrachte Postamt in der Bahnhofstraße 53 (heute Linden-Apotheke) ersetzen sollte.
Es entstand auf dem 2108 qm großen Grundstück ein dreigeschossiger Mauerwerksbau, welcher im Erdgeschoß einen Backsteinsockel und in den oberen Geschossen eine helle Verputzung erhielt. Hiervon setzten sich die weißen Fensterbänder ab, deren waagerechter die Fassade gliedernder Verlauf durch die schmalen Treppenhausfenster der Mittelachse unterbrochen wird. Die Frontlänge zur Bahnhofsstraße beträgt 37,5 m, die Gebäudetiefe 13 m. Die Baukosten des im Erdgeschoß auch zwei Ladenlokale enthaltenden Gebäudes betrugen damals 231000 Reichsmark.
| Das Postamt auf einer alten Postkarte wohl kurz nach der Erbauung. Zu sehen sind u. a. noch die beiden Läden im Erdgeschoß sowie der zwischen diesen liegende ehem. zweite Eingang des Postamtes, erkennbar an den Stufen.
| Der Eingangsbereich mit der tief in die Fassade eingeschobenen Treppe. Angesichts der durch die Kellerräume bedingten Höhe des Erdgeschosses, zu dem die Treppe führte, wäre eine Anlage auf dem eher schmalen Gehweg der Bahnhofsstraße kaum möglich gewesen.
Neben den für den Postbetrieb erforderlichen Funktionsräumen, wozu auch eine Telefon-Vermittlungsstelle in den Obergeschossen gehörte, erhielt das Gebäude auch mehrere Dienstwohnungen, was an den auf der Gebäuderückseite befindlichen Balkonen noch heute erkennbar ist.
Für die Ausführung des Satteldaches war die auf den Bau von hölzernen Hallen- und Dachkonstruktionen spezialisierte Fa. Stephansdach GmbH verantwortlich. Der Düsseldorfer Ingenieur Philipp Stephan galt mit seiner um 1896 beginnenden Errichtung von großen hölzernen und stützenfreien Hallendächern, die zunächst die neu aufkommenden Luftschiffe wie etwa den großen Zeppelinen vor Wind und Wetter schützten, als Pionier auf seinem Gebiet. Ab 1905 firmierte die Firma als „Stephansdach GmbH“. 1912 errichtete die Firma u. a. auch die Hallen des Kopenhagener Hauptbahnhofs. Die Firma besaß mehrere in- und ausländische Niederlassungen. In Berlin war das Unternehmen in der Rankestraße 5 ansässig.
Aktuell4
4 | Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg
Das Lichtenrader Postamt überstand den Zweiten Weltkrieg nahezu unbeschadet. Doch musste es natürlich im Laufe der Zeit den sich wandelnden technischen und funktionellen Gegebenheiten angepasst werden. Nachdem bereits 1967 der Zustellersaal umgebaut worden war, entstand 1970-72 auf dem rückwärtigen Grundstücksteil ein kompletter Neubau für den Fernmeldedienst nach Entwürfen des Fernmeldetechnischen Zentralamtes Darmstadt für 9000 Anschlüsse. Die Räume der noch bis 1974 in den beiden Obergeschossen des Altbaus untergebrachten Vermittlungsstelle waren nun ohne Funktion.
Es folgte daher ab 1975 ein genereller Umbau der Schalterhalle sowie der freigewordenen Räume des Obergeschosses durch den Architekten Eberhard Kobe, der sich noch bis 1978 hinzog. In neuerer Zeit erfolgten weitere Umbauten vor allem der Schalterhalle nach dem ab 1993 eingeführten "Open-Service-Konzept" ohne gläserne Trennwände mit offener Bedientheke und zeppelinförmigen Beleuchtungskörpern. Die Schließung des Postamtes und der Postbank am 6. Dezember 2022 (letzter Öffnungstag 5. Dezember) beendet damit eine lange Tradition. Doch die Geschichte des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes geht weiter. Geplant sind eine Nutzung für Wohn- und Gewerbezwecke.
| Die Tordurchfahrt von der Hofseite aus mit Blick in die Bahnhofstraße. Das Gitter am Kellerabgang rechts scheint noch Original aus der Erbauungszeit des Gebäudes zu stammen.
| Die Hofseite des hier noch in Betrieb befindlichen Postgebäudes mit den Fahrrädern des Zustelldienstes. Links das 1970-72 errichtete Vermittlungsgebäude, welches inzwischen statt des rötlichen Farbtons eine andere Verputzung erhielt.
| An den Balkonen sind die ehem. Dienstwohnung der höheren Postbeamten zu erkennen. Eine angesichts des drastischen Wohnungsmangels der damaligen Zeit, die weitaus höher war als heutzutage, durchaus wichtige Einrichtung.
| Die rechts des Eingangs befindlichen sog. "Orts-Fern-Briefkästen" mit Ihren beiden Vorsortierfächern für "Berlin" und "andere Richtungen" - wobei als bundesweites Kuriosum die unmittelbar an die Stadt grenzenden Umlandgemeinden Brandenburgs zu "Berlin" noch mit dazuzählten. Originär blieben im Übrigen die die Kellerfenster sichernden, zeittypisch "auf der Kante stehen" Metallstangen erhalten.
| Der sich in Gebäudemitte befindliche Eingang zum Treppenhaus ist einschließlich Vordach und "Hoheitsgeflügel" gleichfalls originär noch erhalten. Nur die rechts befindlichen Fenster kamen nach der Schließung der beiden ursprünglich hier ansässigen Ladengeschäfte und des zweiten Haupteingangs neu hinzu.
| Der Hoheitsadler in der Ausführung der Weimarer Republik hat sich über die Zeitereignisse hinweg erhalten. Die Plaketten im Umkreis indes sind neuere Zutaten. Über die empfindsame, auf das historische, unter Denkmalschutz stehende Gebäude Rücksicht nehmende Verlegung von Elektroleitungen reden wir an dieser Stelle einmal nicht...
| Für die Öffentlichkeit wird das alte Postgebäude in Lichtenrade wohl bald für immer verschlossen sein. Was jedoch genau hier entsteht, bleibt allerdings offen.