Die "Wiener Lichtspiele"


in der Wiener Straße

Wiener Lichtspiele

Wiener Straße 34

Inhalt und Kapitelübersicht

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1 | Ein seltener Fund

Text: Lutz Röhrig Bild: Lutz Röhrig

Bei der Recherche auf Ansichten insbesondere der kleineren Kreuzberger Lichtspieltheater zu stoßen, gehört zu den größeren Ausnahmen. Doch mitunter ist einem das Glück ein wenig hold. So auch im Fall der „Wiener Lichtspiele“, die sich in der gleichnamigen Kreuzberger Straße gegenüber dem Görlitzer Bahnhof (heute Görlitzer Park) befanden.


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Eröffnet wurden die „Wiener Lichtspiele“ in der Wiener Straße 34 (Eigentümer H. Kunze) kurz vor dem Ersten Weltkrieg im Jahre 1912 durch den Kinobetreiber E. Haselbach. Haselbach hatte die Gastwirtschaft der Wirtin Berta Moschütz übernommen und hier einen zunächst 216 Sitzplätze fassenden Kinosaal eingerichtet, der auch eine Musikspielanlage zur Untermalung der damals üblichen Stummfilme besaß. 

Seltene Postkarte der "Wiener Lichtspiele" aus dem Jahr 1919. Sammlung Röhrig.

| Seltene Postkarte der "Wiener Lichtspiele" aus dem Jahr 1919. Sammlung Röhrig.

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Der Regisseur und Filmunternehmer Richard Oswald (1880 Wien-1963 Düsseldorf)

| Der Regisseur und Filmunternehmer Richard Oswald (1880 Wien-1963 Düsseldorf)

2 | Der "Urgroßvater" aller Aufklärungsfilme

Haselbach wird auch noch 1919 im Berliner Adressbuch als Inhaber des Kinos geführt – und steht damit in Verbindung mit einem besonderen, damals stark diskutierten Filmereignis: Die alte Postkarte der „Wiener Lichtspiele“ offenbart für das Jahr 1919 ein selten besprochenes, aber wichtiges Stück Filmgeschichte. Im Schaufenster des Kinos wird der 3. Teil des Films „Es werde Licht“ offeriert.  In den Jahren von 1916 bis 1918 drehte der Regisseur Richard Oswald einen vierteiligen Filmzyklus, der das Thema Geschlechtskrankheiten zum Inhalt hat. Ein angesichts der schweren Zeit nach dem Ende des Ersten Weltkriegs mit all ihrem sozialen Elend und dem nicht Vorhandensein entsprechender Medikamente ernstzunehmendes Thema.

 

Der vierteilige Film „Es werde Licht!“ gilt als der erste Aufklärungsfilm überhaupt.  Richard Oswald schuf damit ein völlig neues Genre- das des Aufklärungs- und Sittenfilms. Die Kritik über den Film war geteilt. Während das breite Publikum und viele Institutionen des Gesundheitswesens sich positiv äußerten, wandten sich das Militär und konservative Kreise gegen den Film.

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Oswald wurde der Aufklärungswille zugunsten einer Kommerzialisierung des Themas (die vier Filme waren sehr erfolgreich) abgesprochen, was auch den nachfolgenden Filmen, die sich mit ungewollten Schwangerschaften und Homosexualität befassten, nachgesagt wurde. Die Abneigung konservativer Kreise gegen Oswald war aber nicht nur den für die Zeit noch neuartigen Aufklärungsfilmen geschuldet, sondern  auch dem Umstand, dass Oswald jüdischen Glaubens war.

 

Nach 1919, dem Jahr der Wideraufnahme der Filmzensur, war Oswald vor allem mit herkömmlichen Spielfilmen erfolgreich. Noch 1919 begründet er den Richard Oswald Filmverleih und erwirbt die „Prinzeß-Theater Lichtspiele“ in der Kantstraße 163, die er in „Richard-Oswald-Lichtspiele“ umbenennt. 1933 muss Oswald jedoch Deutschland verlassen und dreht zunächst in den Niederlanden mit Johannes Heesters einen Film, ehe er schließlich Europa verlässt und nach Amerika emigriert. 1963 stirbt Oswald nach einem Besuch seiner Verwandten in Deutschland bei einem Aufenthalt in Düsseldorf. 

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Das ehem. Kino heute. Das rechte Schaufenster wurde in den 1950er Jahren zugemauert. Heute residiert hier der Club "Cortina Bob".

| Das ehem. Kino heute. Das rechte Schaufenster wurde in den 1950er Jahren zugemauert. Heute residiert hier der Club "Cortina Bob".


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Das in den 1960er Jahren im ehem. Kino eröffnete "Mando".

| Das in den 1960er Jahren im ehem. Kino eröffnete "Mando". Foto: Herbert Scholz.

3 | Das Kino bis zur Schließung

Über die Jahre und wechselnden Inhabern hinweg blieben die „Wiener Lichtspiele“ weitgehend unverändert. Erst mit der Übernahme des Kinos 1933 durch Hugo Sampich wurde das Kino für den Tonfilm umgerüstet. Sampich betrieb, ab 1937 gemeinsam mit Frau Helene Deider, auch die Oppelner Lichtspiele in der gleichnamigen Kreuzberger Straße.

 

Gebäude und Kino überlebten den Zweiten Weltkrieg nahezu unversehrt. Das Kino wurde nach wie vor von Hugo Sampich betrieben. 1957 beschloss er, das Kino auf das populäre Breitwand – System (CinemaScope 1 KL) umzurüsten. Ein „Muss“ in jener Zeit.

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Als Projektor tat nun ein Gerät der Fa. Hahn-Goerz mit einem Bildwandverhältnis 1:1,85 seinen Dienst. 1959 wurde dieser durch einen Bauer-Apparat mit einem  Bildwandverhältnis von 1:2,35 ersetzt und das Platzangebot auf 240 Sitze erhöht. Auch das Schaufenster zur Straße wurde zugemauert und mit einem Schaukasten versehen. Doch die Tage des Kinos sind gezählt.

 

Durch die sich abzeichnende Teilung lag das nur 600 m von der Grenze zu Ost- Berlin entfernte Kino in einer ungewohnten Randlage. Die Zuschauer blieben aus. 1960, noch vor dem Mauerbau, schloss das Kino für immer seine Türen.

Nach dem Ende des Kinobetriebs wurde der Saal zu einem "Makrobiotischen Restaurant" dann kam eine Kneipe mit dem Namen „Mando“ hier herein. Im Anschluss zog die Hard Rock Underground Disco „Bronx“ in den ehem. Saal. Seit 2012 ist hier  der Club „Cortina Bob“ von Dorothee Lübbe ansässig.

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Nach dem "Mando" zog die Hard-Rock Disco "Bronx in den ehem. Kinosaal. Foto: Herbert Scholz

| Nach dem "Mando" zog die Hard Rock Underground Disco "Bronx" in den ehem. Kinosaal. Foto: Herbert Scholz.


Fassade des Gebäudes des ehem. Kinos im Jahre 2022

| Fassade des Gebäudes des ehem. Kinos im Jahre 2022.