Die Reederei Otto Schmidt und die Ankerklause
Der Anleger Kottbusser Brücke
Teil 1. Die Reederei Otto Schmidt und die Ankerklause
Erster Teil. Inhalt und Kapitelübersicht
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Standortkarte und aktuelle Infos zum heutigen Restaurant und dem "Fist Tuesday Club" am Ende des Artikels, Kapitel 12
Vorwort1
1 | Die Lösung eines alten Rätsels...
Text: Lutz Röhrig Bild: Familie Schmidt und Lutz Röhrig
Manchmal ist es etwas unverhofftes, was einem der Lösung eines alten Rätsels näherbringt. Eines Tages erreichte mich ein Anruf. Sein Name, so stellte sich der Anrufer vor, sei Schmidt. Heinz Schmidt, Sohn von Hans Schmidt. Er sei auf den Artikel über den Schiffsanleger Kottbusser Brücke und dem zugehörigen Lokal "Ankerklause" aufmerksam gemacht worden - und auch auf die im Text gestellten Fragen. Nicht nur auf diese könne er als letzter noch lebender Nachkomme der Reederei "Otto Schmidt" Antwort geben...
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Und so kam es zu einem äußerst spannenden Nachmittag bei Kaffee und von uns mitgebrachten Kuchen. Alte Fotos wurden gezeigt und viele, bislang kaum bekannte Dinge über die einst stadtbekannte Reederei Otto Schmidt erzählt. Denn die üblichen Quellen geben über die Reederei, trotz ihrer damaligen Bekanntheit, nur wenig Auskunft. Die Kehrseite: Der Artikel über den Schiffsanleger musste nun umfassend ergänzt und erweitert werden...
Und so beginnt die Geschichte des später an der Kottbusser Brücke errichteten Anlegers im Grunde bereits vor der Jahrhundertwende, als Otto Schmidt (15.4.1859-1916) und seine Frau Auguste (geb. Lange, 2.5.1868-1921) mit ihrem Kahn Obst und Gemüse nach Berlin brachten, das sie in einem eigens errichteten hölzernen Verkaufshäuschen an der damaligen Straße "An der Stralauer Brücke" verkauften.
Die zwischen der damaligen Waisenbrücke und der Jannowitzbrücke gelegene Uferstraße hatte den Namen nach der schon damals nicht mehr bestehenden Stralauer Brücke über den Königsgraben erhalten, der hier einst von der Spree abzweigte und für den Bau der Stadtbahn zugeschüttet worden war. Erst nach dem Ende umfangreicher Bauarbeiten (Anlage des Waisentunnels der U-Bahn, Neubau der Ufermauern) war am 15. Dezember 1930 die Straße "An der Stralauer Brücke" mit in das bereits seit 1905 bestehende "Rolandufer" einbezogen worden.
Otto Schmidt entstammte einer Schifferfamilie, bereits sein Urgroßvater Wilhelm Schmidt war Elbschiffer in Havelberg gewesen. Der Bedarf Berlins an frischem Obst und Gemüse bot ihm eine willkommene Einnahmequelle. Offenbar mit gewissen Erfolg, denn einen eigene, wenn auch kleine Verkaufsbude am Ufer- noch dazu im Zentrum unmittelbar neben der heute nicht mehr bestehenden Waisenbrücke- konnten sich nur die wenigsten leisten. Meist wurden Obst und Gemüse von den Schiffern direkt aus dem Kahn verkauft.

| Eine im Grunde bekannte Ansicht der heute nicht mehr bestehenden Waisenbrücke, Aufgenommen etwa um 1900. Links im Hintergrund das im Krieg zerstörte Kaufhaus Neu-Köln mit seinem hohen Eckturm, daneben läge das hier nicht zu sehende Märkische Museum. Im Hintergrund rechts die Petrikirche. Im Vordergrund die für unsere Geschichte interessante Obst - Halle am Rolandufer. Postkarte: Sammlung Röhrig.
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2 | Gründung der Reederei Otto Schmidt
Nach dem Tod von Otto Schmidt Senior im Jahr 1916 wurde das Verkaufshäuschen, das bislang als "Obsthalle" diente, zur "Bierhalle" mit dem Namen "Zur Spreenixe" umgewandelt, wie eine alte Postkarte von 1918 zeigt. Otto Schmidts Sohn, Otto jun. (25.9.1900-5.8.1966) begründete dann am 2. September 1920 die "Reederei Otto Schmidt", die er zusammen mit seinen beiden Brüdern Hans (20.3.1895-29.11.1954) und Paul (6.6.1889-20.9.1963) betrieb. Die Anlegestelle der neuen Reederei lag ebenfalls "An der Stralauer Brücke" und die Bierhalle diente nun auch dem Verkauf von Fahrkarten.
Erstes Motorschiff der Reederei war die je nach Quelle zwischen 130-180 Personen fassende "MS FORELLE", mit der 1921 der Schifffahrtsbetrieb aufgenommen wurde. Im Dienst blieb sie bei der Reederei vermutlich bis ca. 1924, da dann der erste Neubau, die "MS Pik AS" bei der Werft Bruno Winkler für die Reederei Schmidt fertiggestellt worden war. Das Schiff wies jedoch eine schlechte Wasserlage auf, so dass das Heck zusätzlich beschwert werden musste. Die "Pik AS" wurde daher noch 1925 an eine andere Reederei zur Pacht weitergeben und spätestens 1928 verkauft.
| Bauantrag zur Errichtung eines weiteren Anlegestegs am Maybachufer. Der hier als "Kottbusser Ufer" eingezeichnete Straßenzug ist das heutige "Linckeufer" (benannt nach dem Komponisten Paul Lincke) bzw. das "Fraenkelufer", an dem sich auch die Synagoge Fraenkelufer befindet. Quelle: Wasserstraßen- und Schiffahrtsamt Spree-Havel (WSA).
1925/26 muss die Reederei Ihren angestammten Liegeplatz "An der Stralauer Brücke" auf Grund von Baumaßnahmen aufgeben. Das gesamte Ufer einschließlich der Schiffsanlegestellen wurde neu gestaltet und erhielt sein heutiges Aussehen ohne Buden und Badeanstalten. Otto Schmidt entschied, die Hauptanlegestelle ans Neuköllner Maybachufer unmittelbar neben der Kottbusser Brücke zu verlegen. Hier gab es bereits eine der Reederei gehörende Anlegestelle.
Die Anlegestelle musste jedoch bald erweitert werden, wie ein vom 19. Mai 1930 stammender Bauantrag zeigt, der sich im Bestand der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes befindet. Aus der Antragszeichnung geht hervor, das die vom neuen Anlegesteg beanspruchte Wasserfläche eine Größe von 1,75 m x 9,05 m = 15,84 qm hat und diese in Bezug auf eine Mietszahlung der von Schmidt bislang genutzten Uferfläche hinzugerechnet wird. Das Dokument trägt die Unterschrift Otto Schmidts.
Aus Sparsamkeit, aber wohl noch mehr aus Sentimentalität den verstorbenen Eltern gegenüber, beschloss die Familie Schmidt, das alte Verkaufshäuschen zur neuen Anlegestelle mitzunehmen. Zur Aufstellung gelangte das Häuschen auf dem gemauerten Sockel der Wehrkammer der unter dem Landwehrkanal neben der Brücke verlaufenden U8 - optimale Voraussetzungen, um das alte Verkaufshäuschen von der Waisenbrücke, wo es gleichfalls auf einen Sockel stand, nun hierhin zu versetzen. Trotz der Verlegung der Hauptanlegestelle zur Kottbusser Brücke verblieb das Büro der Reederei Otto Schmidt weiterhin an der Waisenbrücke, allerdings erhielt die Adresse ab 1930 auf Grund der Umbenennung der Uferstraße nun den Namen "Rolandufer". Auch die Hausnummer wechselte: von 1 nach 9. Stets blieb es aber das Haus kurz vor der Ecke zur Waisenstraße.
Die Reederei Otto Schmidt stellte in den kommenden Jahren weitere Schiffsneubauten in Dienst, zu denen auch wieder vier nach den Assen des Kartenspieles benannte Schiffe gehörten. Bald wurde sie als "Reederei der vier Asse" stadtbekannt, obwohl auch Schiffe unter anderer Namensbezeichnungen in ihren Diensten standen. Zum geschäftlichen Erfolg der Reederei trugen vor allem - neben Ausflugsfahrten in die Umgebung Berlins wie z. B. Potsdam - Fernfahrten mit der "MS KREUZ AS" von Berlin nach Stettin und Hamburg bei.
Außer den Fahrten nach Potsdam, wo sich an der Langen Brücke eine weitere Schiffsanlegestelle der Reederei befand, gehörte aber auch Glindow am Scharmützelsee (heute ein Ortsteil von Werder an der Havel) - dem ehem. Stammsitz der Familie - mit zu den Zielen der Reederei Schmidt.

| Die Anlegestelle Kottbusser Brücke noch ohne das von der alten Anlegestelle an der Waisenbrücke mitgenommene Verkaufshäuschen. Im Hintergrund links das später im Krieg zerstörte Kaufhaus Jahndorf am Kottbusser Damm.
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3 | Krieg und Nachkriegszeit
| Der Wiederaufbau der Kottbusser Brücke hat im Frühjahr 1949 begonnen. Auf der linken Seite der Brücke ist noch ein Rest der alten Brücke sichtbar, welcher die Sprengungen der Wehrmacht in den letzten Kriegstagen überstanden hatte. Zerstört, allerdings durch Bomben, ist auch das Eckhaus am Kottbusser Ufer (heute Fraenkelufer) Ecke Kohlfurter Straße. Im Vordergrund der Anleger mit dem links im Anschnitt zu sehenden "Trink- und Imbisshalle" der Reederei Schmidt.
Der Krieg sorgte für eine weitgehende Einstellung des Schifffahrtsbetriebs. Treibstoff war knapp, viele Schiffe und Anlegestellen waren zerstört. Zudem behinderten Trümmer der von der Wehrmacht in den letzten Tagen des Kriegs gesprengten Brücken jeglichen Verkehr in Berlins Gewässern.
Auch die Kottbusser Brücke war durch die Sprengungen der Wehrmacht schwer gezeichnet. Nur ein kleiner Rest einschließlich der Sandstein - Balustrade war auf der Seite des Plan- und Fraenkelufers stehengeblieben und diente den Fußgängern als behelfsmäßiger Übergang. Erst 1949 begann der Wiederaufbau dieser wichtigen Straßenverbindung.
Den Krieg unbeschadet überstanden hatte hingegen die 1938 erbaute „Pik-As“, die Schmidt 1947 an seinen Freund Johann Blasen weitergab. Blasen war Schweizer Staatsbürger und ließ das Schiff in "Helvetia" umbenennen. Mit der "Helvetia" unternahm Schmidt Fahrten nach Glindow. Der besondere Status des Schiffs gab eine gewisse Garantie für die zunehmend eingeschränkten Fahrten aus West-Berlin heraus in die "Sowjetische Besatzungszone" (ab 1949 DDR), zu der auch Glindow, der einstige Stammsitz der Familie Schmidt, nun gehörte. 1951 ging das Schiff wieder an Schmidt zurück, der es in "Karo-As" umbenannte.
Auch die „Herz-As“ hatte den Krieg überstanden und wurde lediglich instand gesetzt. 1946 kaufte Schmidt, der die Reederei weiterhin mit seinen Brüdern Hans und Paul betrieb, die 1928 gebaute „MS Barbara“ aus Holland, die er auf 36,5 m verlängern und in „Pik-As“ umbenennen ließ.
Ein besonderes Schicksal hatte die "Kreuz As", das ehemals größte Schiff der Reederei Schmidt. Ab 1937 führte das Schiff Transportdienste für die Wehrmacht durch. Dabei wurde sie 1944 mit einer Ladung Flugbenzin bei Schildhorn von einer Brandbombe getroffen und sank. 1954 wurde das Wrack gehoben und in der Werft Glindow aufgelegt. Doch statt des geplanten Einsatzes für die Reederei des in Glindow lebenden Sohn von Hans Schmidt, Joachim Schmidt, erwarb 1957 Otto Schmidt das Schiffswrack und ließ es bis Juli 1958 für den Einsatz in West-Berlin aufarbeiten und erheblich vergrößern. Schmidt hatte damit wieder seine "vier Asse" zusammen, allerdings konnte er mit seinen Schiffen nun1500 Personen, statt, wie vor dem Krieg, ca. 980 Personen befördern. Reguläre Fahrten ins Umland allerdings waren seit 1952 - und damit bereits 10 Jahre vor dem Mauerbau - für Schiffe aus West-Berlin nicht mehr möglich.
| Die "Karo-AS", ursprünglich als "Pik-As" für Schmidt erbaut, hatte Schmidt 1947 an seinen Schweizer Freund Johann Blasen weitergegeben, der das Schiff in Helvetia umtaufte. Aus dieser Zeit stammt das kurz vor dem Bug zu sehende Schweizer Wappen. 1951 ging das Schiff wieder an als "Karo-As" an Schmidt zurück. Auf dem Foto liegt das Schiff an der inzwischen wiederhergestellten Kottbusser Brücke. Im Hintergrund die Ruine des einstigen "Jahndorf- bzw. Union - Kaufhauses" am Kottbusser Damm. Später wird hier das Kaufhaus "Bilka" entstehen, das zur Hertie - Gruppe gehörte.

| Die Anlegestelle an der Kottbusser Brücke im Jahre 1947. Außen rechts die "Rheingold", die zuvor der Reederei Max Pohl gehört hatte. Ebenfalls Max Pohl hatte die zuvor unter den Namen "Freischütz" gelaufene "Karo As" gehört. Beide Schiffe fuhren für die "Schmidt Fahrgastschifffahrt Glindow" -der Reederei von Joachim Schmidt, siehe nachfolgendes Kapitel. Ganz links die "Helvetia", spätere "Pik-AS".
| Auch diese Aufnahme der "Trink- und Imbisshalle" der Reederei Schmidt, aus der sich später nach Vergrößerung die Ankerklause entwickeln sollte, stammt von einem ehem. Mitarbeiter eines Getränkeunternehmens. Zwischen dem Imbiss und dem Zeitungskiosk besteht noch immer eine Lücke, um die zum Wasser hinabführende Treppe erreichen zu können. Foto mit Genehmigung von "H.Bmaier/gluecksflaschenpost@aol.com"

| Prospekt der Reederei Schmidt nach der Inbetriebnahme aller 4 Asse. Das Büro der Reederei befand sich nun am (Paul-) Linke Ufer 44.
| Die 1966 angefertigte Abzeichnung der Flurkarte zeigt schwarz schraffiert (und dadurch in der Legende als "Alter Bestand" ausgewiesen) die Grundfläche des 1960 erheblich nach links bis kurz vor die Kottbusser Brücke vergrößerten ehem. Erfrischungsgebäudes. Auf der rechten Seite neben dem Treppenabgangs kam noch ein Büroanbau mit großem seitlichen Fenster hinzu. Quelle: Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Spree-Havel (WSA).
| Die etwa zur gleichen Zeit wie die nebenstehende Flurkarte angefertigte Grundrissskizze der hier auf Grund der Anbauten bereits als "Restaurant" bezeichneten ehem. Erfrischungshalle gibt durch die farbige Auslegung und den Abgrenzungen deutlich die einzelnen Erweiterungsschritte wieder.
Quelle: Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Spree-Havel (WSA).
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4 | Joachim Schmidt in Glindow
| Noch warb die Reederei Schmidt mit ihrer "Zweigstelle Glindow", wie dieser Ausschnitte aus dem Berliner Adressbuch von 1951 zeigt. Doch die sich abzeichnende Teilung Deutschlands bedeutete ab 1952 die endgültige Trennung des West-Berliner und des Glindower Schiffsbetriebes.
In den ersten Nachkriegsjahren wird im Berliner Adressbuch der mittlerweile im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands (ab 1949 DDR) liegende Stammsitz der Familie Schmidt in Glindow (Werder) noch als "Zweigstelle" der Reederei Schmidt am Maybachufer 7 genannt. Dementsprechend gehen mit Unterstützung Otto Schmidts auch in Glindow die Arbeiten zum Wiederaufbau eines Reedereibetriebs voran. Hier erwarb der weiterhin in Glindow lebende älteste Sohn von Hans Schmidt, Joachim Schmidt, zwei während des Kriegs im Scharmützelsee gesunkene Wracks und setzte diese wieder instand.
Am 28. Juni 1947 erhält die "Schmidt Fahrgastschiffahrt Glindow" die Gewerbegenehmigung. Mit seinen beiden Salon-Schiffen "Rheingold" und "Karo-As" befuhr er die Linien Potsdam (Lange Brücke)- Glindow sowie Potsdam - Phöben. Zudem transportierte er Obst und Gemüse auf dem Wasserweg aus Glindow und Werder nach Berlin und bot seine Schiffe für Betriebsausflüge an. Wie Fotografien jener Zeit zeigen, fuhr er mit diesen Schiffen auch zur nun in West-Berlin gelegenen Anlegestelle an der Kottbusser Brücke.
Am 4. April 1948 gab Joachim Schmidt "seiner Hildegard" das Jawort. 1957 erweiterte Joachim Schmidt seine Geschäftstätigkeit und kaufte - nach erhaltener Genehmigung zur Eröffnung eines Lastfuhrbetriebs - seinen ersten LKW, einen alten Renault, den er mühevoll aufarbeitete. 1958 musste Schmidt einen Kommissionsvertrag mit dem VEB Güterkraftverkehr in Potsdam abschließen. Auch die ihm hieraus auferlegten Transporte erfüllte er zuverlässig.
1962, ein Jahr nach dem Mauerbau, stellte Joachim Schmidt seinen Schifffahrtsbetrieb ein und verkaufte seine Schiffe. Fortan konzentrierte er sich nur noch auf den Speditionsbetrieb. Nach dem Tod Joachim Schmidts im Jahr 1985 übernahm sein Sohn Manfred den Betrieb. Er führte ihn als Privatbetrieb weiter, was in der DDR mit ihren staatlich gelenkten Firmen keineswegs einfach war. Doch der Betrieb überlebte. Heute, nach über 70 Jahren, gehört die Spedition Schmidt zu den erfolgreichen, noch inhabergeführten Unternehmen der Region. Aktueller Geschäftsführer ist weiterhin Herr Manfred Schmidt.

| In den frühen 1950er Jahren - das Büro der nun West-Berliner Reederei Otto Schmidt ist längst vom Rolandufer zum Maybachufer verlegt - werden noch Fahrten in die "Zone", auch zum alten Familienstammsitz in Glindow, unternommen. Erst 1952 war es West- Berlinern verboten, ins Umland zu fahren.
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Das Winterhalbjahr stellt seit jeher nicht nur die Berliner Reedereien vor Probleme. Die Schiffe lagen wegen des Eisgangs und geschlossener Schleusen ungenutzt an den Anlegestellen vor Anker, allenfalls Reparaturen oder Umbauten fanden in jener Zeit noch statt. Doch Otto Schmidt blieb auch in dieser Jahreszeit nicht untätig.
So bezog er zunächst aus Dänemark, später aus einem eigenen Wäldchen als einer der größten Weihnachtsbaumhändler Berlins seine Ware, die er per Bahn anliefern ließ und an der Kottbusser Brücke an Deck seiner Schiffe verkaufte. Alljährlich war dies ein stadtbekanntes Ereignis, über das die Berliner Abendschau ebenso wie die Tagespresse berichteten. Stets einen lustigen Spruch auf Lager, wurde der allseits beliebte Otto Schmidt seine Ware geradezu im Handumdrehen los.
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6 | Kino auf dem Wasser
Zu einer besonderen Idee, um im Winter seine stillliegenden Schiffe besser auszulasten, kam es an einem Neujahrsmorgen im Jahr 1952, als "ein Kapitän ohne Fahrgäste (Otto Schmidt), ein Theaterdirektor ohne Theater (Wulf Rittscher war ehemaliger Direktor des im im Krieg zerstörten "Berliner Theater" in Kreuzberg) und ein Reporter mit einer Schnapsidee" beisammensaßen. Man solle doch "auf einem der Schiffe Theater oder Kino machen" schlug der Reporter vor. Sechs Wochen später war es dann soweit. Ein offenbar selbst angefertigtes Plakat am Ufer kündete von der neuen Möglichkeit, auf der "Karo-As" nunmehr Stummfilme sehen zu können.
Der Zuschauerraum auf dem Schiff fasste hundert Personen, "wenn diese dicht gedrängt wie Sprotten in der Kiste" auf ihren Stühlen beisammen saßen. Rechts neben der Leinwand saß der Erklärer, dahinter, inmitten des Publikums in einer Loge, der "Herr Operateur" G. Schwieger. Seine Künste wurden vom Publikum bejubelt, insbesondere, wenn er an erotischen Stellen einen roten Filter, bei Eifersucht einen gelben vor die Linse legte. Auch für musikalische Untermalung der Stummfilme war gesorgt: Am Piano saß meist der mit Otto Schmidt befreundete Fabrikant Willi Hagedorn, der gegenüber der Schiffsanlegestelle im Erdmannshof am heutigen Linkeufer (damals Kottbusser Ufer 39-40) seine "Nougat- & Marzipanmassen–Fabrik Hagedorn & Co." betrieb. Das Kino auf der Pik-As lebte, so lässt sich dies aus einem "bewegten" Zeitungsartikel des "Telegraf" vom 9. März 1952 schließen, weniger von der hohen künstlerischen Qualität der gezeigten Filme, als von den versammelten Spaßvögeln und der Stimmung an Bord.