Die Geschichte des Landhauses
Baudenkmal Lortzingclub?
Ein Clubhaus mit Geschichte. Teil 1
Plädoyer für eine denkmalrechtliche Unterschutzstellung
Seit über 70 Jahren wurde nur das Notwendigste an Reparaturen in das an der Lichtenrader Lortzingstraße liegende ehem. Landhaus, welches seit Kriegsende als Kinder - Jugendfreizeitclub dient, investiert. So findet man noch original erhaltene Wandschränke, Boden- und Wandfliesen, Kastenfenster, von innen durch Kurbeln zu schließende Fensterläden, ein Luftschutzkeller und vieles andere, das den Status wiedergibt, den das von einem NS - Funktionär der Organisation Todt um 1939 für sich errichtete Wohnhaus einst hatte.
Hinzu kommt die außergewöhnliche Geschichte des Gebäudes, die insbesondere auf die frühe Jugendarbeit nach Kriegsende und hier zunächst auf die der Russen und schließlich der Amerikaner verweist. Mein Artikel ist angesichts des Erhaltungszustandes des heutigen Clubhauses ein Plädoyer für die baudenkmalrechtliche Unterschutzstellung und Bewahrung jenes Gebäudes, das Teil unseres gebauten Erbes als Sach- wie auch als Geschichtszeugnis ist.
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Erster Teil. Inhalt und Kapitelübersicht
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1 | Vorgeschichte. Ein Vortrag im Lortzingclub
Text Lutz Röhrig. Bild: Lutz Röhrig und Lortzingclub
Es sollte meine erste Begegnung mit dem Lortzingclub werden. Auf Grund der Artikel über den Architekten Bruno Taut erreichte mich unverhofft die Bitte, ob ich nicht in den Lichtenrader Lortzingclub kommen wolle.
Denn Anlässlich des nächsten „Salon Hermione“, wolle man den Lichtenradern gern das Umland näher bringen. Und da Bruno Taut sein privates Wohnhaus in der benachbarten Gemeinde Blankenfelde - Mahlow errichtet hatte, möge ich doch einen Vortrag über ihn halten...
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Auf diese Weise lernte ich im Jahr 2019 auch das Gebäude des Lortzingclubs näher kennen – und Herrn Gerhard Moses Heß, welcher die Veranstaltungsreihe des „Salon Hermione“ einst ins Leben gerufen hatte.
Nach dem Schluss der Veranstaltung hatte er mir noch viel zur Geschichte des heutigen Kinder- und Jugendclubhauses zu berichten. So auch, dass sich dieses seit 70 Jahren noch immer weitgehend im Originalzustand präsentiert, wie es einst der Bauherr, ein leitender Ingenieur der NS - Organisation Todt, für sich und seine Familie errichtet hatte.
Denn größere Geldbeträge für eine umfassende Renovierung des längst von baulichen Schäden gezeichneten Gebäudes hat es in all den Jahrzehnten nie gegeben...
| Herr Heß (links) während einer Veranstaltung des „Salon Hermione“ - hier mit dem Lichtenrader Verlegerehepaar der „Edition A · B · Fischer“
| Originale Eingangstür (bis auf das Schloss), Rahmenprofile und Fensterläden, die auch noch ihre alte Verriegelung besitzen. Das Gebäude des Lortzingclubs hat die Zeit weitgehend konserviert...
| Auszüge aus den Bauakten. Siehe hierzu insbesondere Teil 2 zur Geschichte des Lortzingclubs
Das Haus verkörpert, wie bereits eigene Recherchen des Lortzingclubs im Jahr zuvor ergeben hatten, ein wichtiges Stück Zeitgeschichte. Gebaut für einen NS – Funktionär der Organisation Todt, wurde das Gebäude nach Kriegsende erst von den Sowjets und dann von den Amerikanern als Jugendclub genutzt. Das Haus ist somit ein wichtiges bauliches Zeugnis für die Anfänge der Jugendarbeit in Berlin nach dem Ende des Krieges.
Leider finden sich in den bislang veröffentlichten Quellen keine Angaben, die auf den Architekten verweisen oder die damalige Zweckbestimmung der Räumlichkeiten näher erörtern. So war erst ein Gang ins Aktenarchiv des Bezirks Tempelhof - Schöneberg notwendig, um über die Bauakten Auskunft zu diesen Fragestellungen zu erhalten. Mein Dank gilt an dieser Stelle der Leiterin des Lortzingclubs, Frau Carola Thiede, welche das Projekt im Hintergrund wohlwollend begleitete.
Anhand der Ergebnisse und der Zustandsbeschreibung des Clubhauses wird deutlich, welchen historischen wie auch architektonischen Wert das Gebäude - gerade und auf Grund unterlassener Renovierungsmaßnahmen - besitzt.
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2 | Grundstückskauf durch Hertha Bartel
Die Geschichte des Hauses Lortzingstraße Nr. 16 beginnt im Grunde im Jahr 1935, als der Bauunternehmer und Diplomingenieur Paul Bartel (geboren am 25.1.1899 in Neustettin, Mitglied der NSDAP seit dem 1. Mai 1933 unter der Mitgliedsnummer 2579582) von der Dornröschenstraße 25 in Köpenick zur Beethovenstraße 1 nach Lichtenrade zieht. Das Gebäude in der Beethovenstraße, das Bartel vom Maschinenbauingenieur B. Gericke für sich und seine Frau angemietet hat, befindet sich schräg gegenüber dem Grundstück des späteren Lortzingclubs. Was genau Bartel veranlasst hat, seinen Wohnsitz von Köpenick nach Lichtenrade zu verlegen, ist unklar.
Nur so viel ist bekannt, dass Bartels Ehefrau Hertha (geborene Lang), 1937 insgesamt zwei unbebaute Parzellen von dem in der Lortzingstraße wohnenden Architekten und Maler Johann Friedrich August Blunck erwarb, um hier ein größeres „Landhaus“, wie sie es selbst nannte, für sich und ihre Familie errichten zu lassen – das spätere Gebäude des Lortzingsclubs. Blunck, geb. am 24. April 1858 in Altona und verstorben 1946 in Berlin, war ein Meisterschüler Anton von Werners und Leiter der Berliner Kunstgewerbeschule in Kreuzberg.
| Genehmigung des Verkaufs von 2 Parzellen vom Grundstück des Malers August Blunck an Herta Bartel 1937.
| Lageplan des Grundstücks Lortzingstraße zur Flächenbrechnung vom 11. Juni 1938. Die nach links im rechten Winkel abzweigenden Grundstücksteile, die heute zum Lortzingclub gehören, sind offenbar noch nicht Teil des Grundstücks. Ebenso wurden die Gartenterrasse und das Schwimmbad erst nachträglich in die Unterlagen eingetragen.
Beurkundet wurde der Kauf der beiden insgesamt 2516 m² großen Flurgrundstücke an der Adresse Lortzingstraße 16 - 18 (damalige Nummerierung) am 18. Juni 1937 durch den Berliner Notar Josef Sprotte aus der Bülowstraße 92.
Als Beurkundungsort wird das Bezirksamt Tempelhof angeben, das sich damals in der Dorfstraße (heute Alt – Tempelhof) Nr. 3 befand. Die Genehmigung des Kaufes wird durch den Tempelhofer Stadtbauinspektor Gletzelt sowie den stellvertretenden Bezirksbürgermeister Dr. Roland Faulhaber erteilt.
Längst war zu diesem auch das Bezirksamt fest in der Hand von NS-Parteimitgliedern. So ist von Faulhaber bekannt, dass er der NSDAP angehörte und zunächst als kommissarischer, ab 1935 als ordentlicher stellvertretender Bürgermeister Tempelhofs tätig war. 1945 soll Faulhaber angeblich bei Kämpfen zur Verteidigung des Flughafens Tempelhof ums Leben gekommen sein.
Bezirksbürgermeister in Tempelhof war Anfang 1937 im Übrigen noch Dr. Reinhard Bruns–Wüstefeld (1883 - 1967), welcher am 22. November 1937 durch Carl Pollesch abgelöst wurde. Pollesch gehörte - anders als Bruns-Wüstefeld, dem die fehlende Parteimitgliedschaft vorgehalten wurde - wie Faulhaber der NSDAP an. Pollesch soll 1945 entweder in einem russischen Kriegsgefangenenlager oder nach anderen Quellen durch Suizid ums Leben gekommen sein.
Das Grundstück der Bartels an der Lortzingstraße war vor dem Kauf durch das Vermessungsbüro Erich Döring und Alfred Arndt vermessen worden, wobei auch die zulässige Gebäudegröße errechnet wurde. Erlaubt waren für die Grundstücksgröße ein Gebäude von 470 qm Grundfläche, tatsächlich ausgeführt wurde nach den Plänen des in der Schweidnitzer Straße 6 in Halensee ansässigen Architekten Heinrich Sander ein Gebäude von 206,8 qm Grundfläche - das heutige Clubhaus.
| Die Dorfstraße (heute Alt - Tempelhof) war das damalige Verwaltungszentrum Tempelhofs. Postkarte Sammlung Röhrig.
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| Einverständniserklärung des Ehepaars Keller zum Bau einer Garage auf dem Grundstück der Bartels.
3 | Das Genehmigungsverfahren
Nach dem der Vermessungsplan zur Flächenberechnung vorlag, wurden im Januar 1938 die von Heinrich Sander erstellten Architekturpläne und sonstige Bauunterlagen von dem Ehepaar Bartel mit der Bitte um Erteilung der "Bauerlaubnis für ein Einfamilienhaus mit zwei Büroräumen" bei der Tempelhofer Baupolizei in der Dorfstraße 3 eingereicht.
Den Bauakten liegt ein Schreiben des Anrainers Dr. med. Keller, damaliger Chefarzt des ehem. Kinderkrankenhauses Lichtenrade (heute u. a. Bürgeramt und Bibliothek), und dessen Ehefrau Lieselotte Keller, bei. Hierin erklären sich beide als Besitzer des benachbarten Grundstücks mit dem geplanten, unmittelbar bis an die Grundstücksgrenze reichenden Garagenanbau des Bartelschen Wohnhauses einverstanden.
Bereits zu diesem Zeitpunkt unterlag Eisen und Stahl in Deutschland einer strikten Rationierung im Rahmen des damaligen „Vierjahresplans“ („Vierte Anordnung zur Durchführung des Vierjahresplanes über die Sicherstellung der Arbeitskräfte und des Baustoffbedarfs für staats- und wirtschaftspolitisch bedeutsame Bauvorhaben vom 7. November 1936“), welcher, beginnend ab 1936, innerhalb von vier Jahren die Kriegsfähigkeit Deutschlands herstellen sollte.
Aus diesem Grund war zur Erteilung der Baugenehmigung auch eine "Unbedenklichkeitserklärung“ der beim Arbeitsamt angesiedelten „Meldestelle für alle Bauvorhaben“ in der Bernburger Straße 24/25 erforderlich.
| Gegen das Bauprojekt der Familie Bartels wurden seitens des Arbeitsamtes keine Einwände erhoben, da nach den Berechnungen aller am Bau Beteiligter nicht mehr als 2,5 Tonnen Stahl benötigt wurden.
| Da jedoch Paul Bartel als Ingenieur in der auch für den Autobahnbau zuständigen NS - Organisation Todt tätig war, erhielt er aus deren Kontingent die Kontrollnummer für eine weitere Tonne Stahl zugesprochen, so dass die Bartels nun insgesamt 3,5 Tonnen Stahl verbauen durften.
In der am 29. Januar 1937 erteilten Erklärung wurde festgelegt, dass für das Bauvorhaben lediglich 2,5 Tonnen Stahl verbaut werden dürfen. Doch da Paul Bartel zu diesem Zeitpunkt als Ingenieur für den Autobahnbau beim „Generalinspektor für das Deutsche Straßenwesen“ (Fritz Todt) tätig ist, erklärt das Büro des Generalinspektors gegenüber der „Meldestelle für alle Bauvorhaben“, dass es bereits ist, Bezugsscheine für eine weitere Tonne Stahl an Bartel abzutreten. Somit stehen für das Projekt nun insgesamt 3,5 Tonnen Stahl zur Verfügung.
Der reglementierte und daher anzugebende Materialverbrauch beschränkte sich nicht nur auf den konstruktiv notwendigen Stahlbedarf. Auch der durch die Heizungsanlage benötigte Stahl musste von der ausführenden Firma ermittelt und belegt werden.
In den Unterlagen liegen neben den Bauzeichnungen daher auch eine Massenberechnung (zu Ermittlung des Materialbedarfs) des Köpenicker Heizungsbauunternehmen Schulz & Sternberg bei. Das heute noch in Köpenick bestehende Unternehmen wird von Sternbergs Enkel geleitet, der jedoch keinerlei Unterlagen mehr aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg besitzt.
Natürlich wurde auch die Statik des Hauses genau berechnet, wozu auch die der Tragfähigkeit der Decke des Luftschutzkellers gehörte. Diese wurde in Ihrer Stärke derart festgelegt, das sie im Kriegsfall die Trümmerlast der zwei darüberliegenden, unter Umständen zerstörten Gebäudeetagen tragen konnte.
Da alle gesetzlichen Auflagen erfüllt wurden, wurde schließlich am 20. Juni 1938 die Baugenehmigung für das Wohnhaus der Bartels durch die Baupolizei Tempelhof erteilt.
Am 27. Juli 1938 ließ der Architekt Heinrich Sander der Bauherrin Hertha Bartel mitteilen, dass die Arbeiten am Gebäude begonnen hätten.
| Statische Berechnung des "Landhauses" der Familie Bartel in der Lortzingstraße. Die Decke des Luftschutzkellers war für eine Belastung von 1660 kg je qm ausgelegt, um der zu erwartenden Trümmerbelastung der zerstörten, über den Luftschutzkeller liegenden zwei Wohngeschosse standhalten zu können.
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| Meldung über den Baubeginn des Architekten Heinrich Sander an Frau Bartel sowie Nennung zweier am Bau beteiligter Firmen.
4 | Der Bau des Landhauses
Für die Erd- und Maurerarbeiten hatte Sander die Fa. Ernst Schumann, Hilbertstraße 10, bestimmt, für die Zimmererarbeiten die Fa. Willi Ressler aus der gleichfalls in Lichtenrade liegenden Prinzessinenstraße 1.
Weitere ausführende Firmen waren das „Berliner Spezialbaugeschäft und Stolte Cementdielen GmbH“ aus der Lichtenberger Hauptstraße – ein Unternehmen, das während des Krieges Zwangsarbeiterlager unterhielt, sowie natürlich auch die am Autobahnbau beteiligte Firma der Familie Bartels, die "Karl Bartel, Hoch-, Tief-, Eisenbetonbau“, die gleichfalls nach Kriegsausbruch von Zwangsarbeiterlagern profitierte: in ca. 30 "Reichsautobahn - Lagern" [RAB - Lagern] wurden überwiegend jüd. Häftlinge und Kriegsgefangene für den Reichsautobahnbau der Strecke Frankfurt / Oder – Warschau unter unmenschlichen Bedingungen beschäftigt. Das Autobahnprojekt wurde 1942 jedoch auf Grund der weiteren Kriegsereignisse eingestellt.
Die in der Bremer Straße 74 ansässige Firma "Karl Bartel, Hoch-, Tief-, Eisenbetonbau" bestätigte gegenüber der Baupolizei am 24. November 1938, dass alle Massivdecken und Stürze (Tür- und Fensterstürze) in Eisenbeton für das Gebäude Lortzingstraße 16/18 ordnungsgemäß ausgeführt seien.
Zu diesem Zeitpunkt – also Ende 1938 – war das Haus zumindest im Rohbau weitgehend fertiggestellt worden, so das der Bauabnahmeschein am 8. Dezember 1938 ausgestellt werden konnte. Die endgültige Fertigstellung erfolgte vermutlich im Frühjahr 1939, da hier die Genehmigung der Anschlüsse der Abwasserleitungen durch die Baupolizei ausgestellt worden war. Auch ist Paul Bartel ab 1940 im Berliner Adressbuch nicht mehr als Mieter in der Beethovenstraße 1 verzeichnet, so das sein Auszug im Jahr zuvor erfolgt sein muss.
| Meldung der Firma "Karl Bartel Hoch-, Tief-, und Eisenbetonbau" über die ordnungsgemäße Ausführung aller Massivdecken und Stürze. Das Unternehmen gehörte der Familie Bartel, der Verwandtschaftsgrad - etwa zu Karl Bartel - ist jedoch unklar.
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| Ruth Baumgarte (geborene Kellner), 1942. Foto: Kunststiftung Ruth Baumgarte
5 | Die Zeit nach 1945. Ruth Baumgarte (Busse)
Das „Landhaus“ der Familie Barthel überstand den Krieg weitgehend unbeschädigt. Nach dem Ende der Kampfhandlungen wurde es beschlagnahmt und mit russischer Genehmigung ein deutscher Jugendclub eingerichtet.
Nur wenig ist über diesen lediglich drei Monate umfassenden Zeitraum bekannt. Immerhin findet sich der Hinweis, dass die später berühmte Malerin Ruth Baumgarte den Club im Auftrag der Sowjetischen Militäradministration leitete - und zugleich Mal- und Zeichenunterricht für Kinder vom 1. Juli bis 8. Dezember 1945 im Lichtenrader Ulrich-von-Hutten-Gymnasium abhielt.
Ruth, geboren am 27. Juni 1923 in Coburg als Ruth Kellner, war das Kind einer Affäre ihrer Mutter, der damals bekannten Schauspielerin Margarethe Kellner-Conrady, und ihres Vaters Kurt Rupli, den ihre Mutter während seiner kurzen Zeit als Intendanten am Stadttheater Sonneberg in Thüringen kennengelernt hatte. Kurt Rupli war seit 1920, also auch zum Zeitpunkt der Geburt Ruths, mit Nathalie Luise Emilie Helbing in erster Ehe verheiratet, mit der er einen Sohn hatte. Die Ehe währte bis 1925.
Allein mit ihrer Mutter wuchs Ruth zunächst in Berlin-Tiergarten auf und zog ab 1935 zusammen mit ihr nach Berlin-Karlshorst und dort 1939 in die Rheingoldstraße 32. In Karlshorst besuchte sie das örtliche Lyzeum. Ihren Vater, der seit 1927 mit Antonie Faas verheiratet war und seit 1934 gleichfalls in Berlin lebte (er wurde hier in jenem Jahr zum Produktionschef der Rota Film AG Berlin berufen), besuchte sie regelmäßig. Kurt Rupli, seit 1937 für die UFA als Produzent und Regisseur arbeitend, später Mehrheitseigner der Tobis - Fimproduktionsgesellschaft und Produktionschef der UFA, förderte zusammen mit ihrer Mutter Ruths künstlerisches Talent. Beide Elternteile meldeten sie auch gemeinsam 1940 an der bekannten privaten "Kunstschule des Westens" in der Charlottenburger Kantstraße 154a bei der Malerin Emmy Stalmann an.
Ab 1941 bis 1944 studierte Ruth an der Charlottenburger Staatlichen Hochschule der bildenden Künste. Heimlich zeichnete sie die von den Nazis verfolgten Sinti und Roma, deren Deportation aus dem Zwangslager in Berlin-Marzahn ihr scheinbar bekannt waren. Zudem war sie Mitarbeiterin in den Zeichentrick-Ateliers von Wolfgang Kaskeline, welcher mit einer Sondergenehmigung für jüdische Filmproduzenten Zeichentrickfilme für die Nazis im Stile Walt Disneys herstellte.
| Ruth (verheiratete Busse in erster Ehe) im Jahr 1945. Foto: Kunststiftung Ruth Baumgarte
| Links das Wohnhaus Rheingoldstraße 32 und rechts die Gedenkstele für Ruth Baumgarte.
An der Staatlichen Hochschule der bildenden Künste lernte sie auch den aus Bielefeld stammenden Kommilitonen Eduard Busse kennen, den sie 1943 heiratete. Während ihr Mann wieder als Soldat zurück an die Front musste, verließ Ruth Busse auf Grund der Evakuierung der Hochschule 1944 Berlin und wechselte an die Staatliche Industrie- und Kunstgewerbeschule Sonneberg in Thüringen.
1945 kehrte sie jedoch nach Berlin zurück. Nach der Besetzung von Karlshorst durch die Rote Armee richtete diese hier ihr Hauptquartier ein. Teile von Karlshorst werden zum Sperrgebiet erklärt. Da die Wohnung von Ruth und ihrer Mutter in der Rheingoldstraße innerhalb dieses Sperrgebietes lag, hatte die Wohnung auf Anordnung der Sowjetischen Militäradministration binnen weniger Stunden geräumt zu werden. Wenig Zeit, um Hausrat und vor allem Bilder und Zeichnungen zu retten. Mutter und Tochter zogen nun nach Lichtenrade.
Dass ausgerechnet Lichtenrade als neuer Wohnort gewählt wurde, lag wohl daran, so erklärt es Ruth Baumgartes Sohn, Alexander Baumgarte, (während eines Gesprächs mit mir, L.R.), dass ihre Freundin Marie- Luise Krüger, Tochter des Industriellen Hugo Krüger und seiner Frau Lucy, im unweit entfernten Mahlow wohnte.
Marie-Luise hatte übrigens, so ist es überliefert, den Einmarsch der Russen in Mahlow dank der russischen Haushälterin der Familie gut überstanden, die sie kurzerhand im Kamin des Hauses versteckte.
In diesen harten Zeiten hatte Ruth Baumgarte, die eine Anstellung als Leiterin des Lichtenrader Jugendclubs erhalten hatte und in der unweit entfernten Alvenslebenstr. 16 wohnte, sich neben ihrer kranken Mutter auch um die mit ihr zusammen aus Karlshorst hierhergezogene Tante und deren Sohn zu kümmern. Trotz ihrer vielfältigen Verpflichtungen schloss Ruth Baumgarte auch neue Bekanntschaften hier in Lichtenrade, so mit Bettina Dickmann, von der sie auch Zeichnungen angefertigt hat, sowie Mally Kant (später verheiratete Achilles), welche damals in der Steinstraße 53 lebte. Überliefert ist auch die Freundschaft zur Tochter des weiterhin hier wohnenden Hausmeisters der Familie Bartel, Frieda. Frieda, lebte später mit Ihrem Mann (verheiratete Chamoizzi) in Paris. Verstorben ist sie jedoch bei Brandenburg. Eine Bemerkung wert wäre sicher das frühere Verhältnis des auch vor dem Krieg den Kommunisten nahestehenden Hausmeisters zu dem der NSDAP angehörenden Paul Bartels. Leider ist hierüber nichts bekannt.
| Beide Seiten der Gedenkstele für Ruth Baumgarte.
| Die Freundin der Malerin Ruth Baumgarte, Bettina Dickmann, um 1945 in Lichtenrade. Foto: Kunststiftung Ruth Baumgarte
1946 verließ Ruth Busse Lichtenrade und ging nach Bielefeld, der Heimatstadt ihres ersten Mannes. Doch noch 1946, sechs Monate vor der Geburt ihres Sohnes, wurde die Ehe geschieden. 1952 heiratete sie den Industriellen Hans Baumgarte, mit dem sie zwei Kinder hat. Aus dieser Beziehung stammt auch Sohn Alexander. 2012 begründet sie in Bielefeld die bis heute bestehende "Kunststiftung Ruth Baumgarte", deren Vorsitz ihr Sohn Alexander erhält. Am 7. Februar 2013 verstirbt Ruth Baumgarte in Bielefeld.
Am 30. Oktober 2020 wurde unweit der ehem. Wohnung der Malerin in Berlin-Karlshorst nahe der Rheingoldstr. 32 für sie eine Gedenkstele aufgestellt. Ich bin an dieser Stelle der Kunststiftung Ruth Baumgarte, die sich intensiv mit dem Leben der Künstlerin auseinandersetzt, für ihre Hinweise dankbar.
Die vormaligen Eigentümer des nunmehrigen Jugendclubs, das Ehepaar Bartel indes, welches mittlerweile in der Dahlemer Schwendener Straße 28 wohnte, blieb, abgesehen vom Verlust des beschlagnahmten "Landhauses“, trotz der NSDAP-Mitgliedschaft von Paul Bartel unbehelligt.
| Frau Carola Thiede, Leiterin des Lortzingclubs, sowie Herr Alexander Baumgarte, Vorsitzender der Kunststiftung Ruth Baumgarte. Herr Baumgarte ist Sohn von Frau Ruth Baumgarte und Inhaber der Bielefelder Kunstgalerie Samuelis Baumgarte.
Am 1. Juli 1945 kam Lichtenrade unter amerikanische Verwaltung, die Sowjets zogen sich in die für sie reservierten Sektoren zurück. Die Amerikaner lösten den Jugendclub nun auf und richteten hier stattdessen einen Club für Ihre Offiziere ein. Doch in jener Zeit waren noch immer viele Kinder durch den Krieg entwurzelt, litten Not oder standen mental teilweise noch unter dem Eindruck des NS – Regimes und deren Jugendorganisationen.
Aus diesem Grund wurde von der amerikanischen Armee das „GYA – Programm“ (German Youth Activities) ins Leben gerufen. Der Offiziersclub an der Lortzingstraße wurde daraufhin verlegt und im Gebäude in der Lortzingstraße bereits am 1. April 1948 der neue Jugendclub eröffnet, dessen Ausstattung sich, wie üblich, weitgehend an den Offiziersclub orientierte. Vorbild hinsichtlich der Jugendarbeit war der bereits 1946 in der Zehlendorfer Stubenrauchstraße im Rahmen des GYA Programms von Earl Albers eingerichtete Jugendclub der US Armee.
| Ruth Baumgarte gegen Ende der 1960er Jahre in Bielefeld. Aufnahme: Wikipedia
| Ruth Baumgarte, Frühes Selbstbildnis um 1947. Foto: Kunststiftung Ruth Baumgarte
Die ersten amerikanischen Verbindungsoffiziere waren Oberst Meier und Oberst Müller, die sich vor die Aufgabe gestellt sahen, einen deutschen Leiter für den Jugendclub zu bestimmen. Die Offiziere traten daher mit dem Direktor der unweit entfernten Ullrich-von-Hutten-Gymnasium, Herrn Dr. Feigel, in Verbindung, der aus seinem Lehrkörper Herrn Dr. Tüllmann vorschlug und halbtags für diese Tätigkeit freistellte. Die Kinderarbeit übernahm Frau Bettina Dickmann.
Der Club kam auf Grund der offenen Art der Amerikaner und der herbeigeholten deutschen Lehrkräfte sowie der für die Nachkriegszeit überragenden Ausstattung gut bei den Kindern und Jugendlichen an. Neu eingeführt als Sportart nach amerikanischen Vorbild wurde im GYA – Club auch Basketball. Entstanden ist daraus die Basketballabteilung des VFL Lichtenrade, aus der auch die Nationalspielerin Uschi Stein (Hausstein) hervorging.
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6 | Das Schwimmbad und der Alligator Swampy
Zur großen Beliebtheit des Jugendclubs an der Lortzingstraße dürfte noch etwas anderes beigetragen haben, das es damals im weiten Umkreis nicht gab: Ein Schwimmbad! Wie viele Kinder hier schwimmen lernten ist nicht bekannt. Aber es müssen im Laufe der Jahrzehnte unzählige gewesen sein.
Eine besondere Attraktion war der junge Alligator, welcher von 1951 – 1952 im Schwimmbad „residierte“. Da der Alligator Teil des Wappens des 6th US Infantry Regiments ist, welches im ehemaligen Telefunken – Werk in Lichterfelde ("McNair-Barracks") stationiert war, hatte man im Sommer 1951 kurzerhand einen solchen vom Mississippi nach Berlin verfrachtet.
Doch die Bedingungen sind in einem europäischen Schwimmbad für Alligatoren alles andere als optimal. Nach einiger Zeit mussten die amerikanischen Soldaten besorgt feststellen, dass ihr Maskottchen, das den Namen „Swampy“ erhalten hatte, das Futter verweigerte und apathisch am Schwimmbadrand lag. Ein Alarmzeichen!
| Das Schwimmbad des ehem. Landhauses dient nun den Kindern. Auffällig sind die gegenüber heute völlig anderen Laternen entlang der Gartenterrasse im Hintergrund. Gut zu sehen die Belegung des Beckenrandes noch mit den originalen Natursteinplatten. Foto: Lortzingclub
| Katharina Heinroth, Werner Schröder sowie ein amerikanischer Soldat mit Swampy.
Besorgt wandte man sich an Werner Schröder vom Berliner Zoo. Schröder, welcher den Zoo zusammen mit Katharina Heinroth als Kaufmännischer Direktor leitete und 1952 zum Direktor des wiederaufgebauten Aquariums berufen wurde, brachte das noch junge Tier in seiner beheizten Wohnung unter. Es war Februar und die Temperaturen dementsprechend kühl. Die Wärme tat diesem tropische Temperaturen gewöhnten Tier offenbar gut, so dass es sich bald erholte. Die Soldaten mussten einsehen, dass ein Schwimmbad kein guter Ort zur Unterbringung eines Alligatoren ist. Auch müsse man sich um das Wohlergehen der Kinder bei zunehmender Größe von Swampy langsam sorgen…
1952 hatte das Aquarium damit wieder seinen ersten Alligatoren nach dem Krieg erhalten, auch wenn die bekannte Krokodilhalle erst 1956 eröffnet werden konnte. Ab und an wurde „Swampy“ noch zu Paraden von den Amerikanern abgeholt, dann verzichtete man angesichts seiner weiter zunehmenden Größe und Kraft hierauf. Der Alligator verstarb 1985 im Berliner Aquarium und wurde anschließend präpariert. Das Präparat des ca. 35 Jahre alten Tieres befindet sich heute im Magazin des Naturkundemuseums.
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7 | Übergabe des GYA-Clubs an das Berliner Jugendamt
Bald darauf sahen die Amerikaner den Zeitpunkt gekommen, das GYA – Programm in Deutschland auslaufen zu lassen. Das Programm endete schließlich am 30. Juni 1953. Doch bereits vier Tage zuvor, am 26. Juni 1953, wurde das Gebäude des Lortzing – Clubs von Oberst Lynch als Beauftragten des Amerikanischen Stadtkommandanten durch den stellvertretenden Bürgermeister von Tempelhof, Stadtrat Burgemeister, übernommen. Als Starthilfe wurde dem Bezirksamt durch US-GYA-Offizier Captain O'Quinn eine großzügige Spende von 5000 DM sowie wertvolles Material für die Jugendarbeit übergeben. Hierzu gehörten Sportgeräte, Werkzeug für die Holz- und Metallverarbeitung, Bandsägen, Bohrmaschinen, eine Nähmaschine und viele hundert Meter Stoff für die Herstellung von Anzügen und Kleidern.
Doch mit der Übernahme des Clubhauses durch das Berliner Jugendamt und damit einer deutschen Behörde trat ein Umstand ein, mit dem wohl niemand gerechnet hätte: Zwar war das ehem. Landhaus nach Kriegsende der Familie Bartel durch die Besatzungsmächte entzogen worden, doch nie formal enteignet. Paul Bartel richtete nun Mietsforderungen an das Jugendamt, die wohl oder Übel von diesem auch anstandslos beglichen werden mussten.
| Schreiben des Jugendamtes an das Amt für Bauaufsicht vom 16. März 1959.
| Ende November war der Disput mit den Anwohnern beigelegt. Dem Kauf des Clubhauses durch das Land Berlin stand somit nichts mehr im Weg.
Mit den Jahren wurden diese Forderungen jedoch immer höher und stieg zuletzt auf 7200 Mark Jahresmiete, so dass dies allmählich zu einem Problem wurde. In dieser Situation unterbreitet im März 1959 die Familie Bartel dem Jugendamt eine Kaufoption. Damit gab es eine weitere Schwierigkeit: Das Jugendamt musste seine Kaufabsichten dem Bauaufsichtsamt zur Kenntnis bringen, dass nun auf Grund gesetzlicher Bestimmungen seinerseits die umliegenden Grundstückseigentümer aufforderte, schriftliche Stellungnahmen zur weiteren Nutzung des ehem. Landhauses als Jugendfreizeitstätte abzugeben. Und die Eigentümer, die im lautstarken Treiben der Kinder eine Wertminderung ihrer Grundstücke sowie eine Belästigung, ein "Krachzentrum höchsten Ausmaßes" sahen, nutzten ihre Chance, eine dauerhafte Festsetzung des ehem. Landhauses als Jugendfreizeitstätte möglichst zu verhindern.
Den Wünschen der Anwohner stand jedoch die Argumentation des Jugendamtes gegenüber, dass, anders als in früheren Jahren unter den Amerikanern, nunmehr genügend Mitarbeiter für mehr Ordnung und Ruhe im Heim sorgen würden. Zudem gäbe es im weiten Umkreis keine andere Liegenschaft, die derart günstig für die Zwecke der Jugendbetreuung geeignet sei. Außerdem werde man weitere Maßnahmen treffen, den Lärm der Kinder zu reduzieren. Ende 1960 stimmten schließlich die beteiligten Behörden dem Kaufersuchen des Jugendamtes zu.