Theater im Delphi
Gustav- Adolf- Straße
Topanker
baudenkmal1
Bild und Text: Lutz Röhrig
Das Delphi in der Gustav-Adolf-Straße 2 in Weißensee gehört zu den letzten, eigens noch für den Stummfilm errichteten Kinos Berlins. Durch die wechselvolle Geschichte des heute als Veranstaltungsgebäude genutzten Hauses blieb ein Großteil der anderen Orts längst entfernten Innenarchitektur erhalten. Das ehem. Kino und heutige "Theater im Delphi" ist ein derart authentischer Ort, das in ihm die Ballsaalszenen für den TV-Epos „Babylon Berlin“ - der bisher teuersten und aufwendigsten deutschen Fernsehserie - gedreht worden sind.
Eigentlich hätte es für Brina Stinehelfer und Nikolaus Schneider, die das ehem. Kino seit 2012 als Veranstaltungsort betrieben und dabei auch auf die Hilfe einer schweizer Stiftung setzen konnten, alles gut werden können. Die Renovierungsarbeiten standen 2017 kurz vor dem Abschluss, das Delphi sollte am 1. Dezember wiedereröffnet werden. Doch dann kam es zu einem das Projekt gefährdenden Schicksalsschlag...
Doch weswegen wollten die Betreiber eigentlich das ehem. Delphi unter großem, auch persönlichen Aufwand unbedingt erhalten? Ein Blick zurück in die Geschichte gibt Antwort...
| Der ehem. Kinosaal während der Benefiz - Veranstaltung am 3. Dezember 2017. Die effektvolle Hintergrundbeleuchtung der Bühne - ein dem Haus überlassenes Überbleibsel des Filmprojektes "Babylon Berlin" - lässt wirksam die einst in vielen großen Kinos vorhandene Stuckornamentik rund um den ehem. Leinwand- und Bühnenbereich hervortreten. Der Saal wurde ansonsten ganz bewusst im vorgefundenen Zustand belassen. Am Mikrofon Nikolaus Schneider.
| Tom Tykwer - hier auf der Berlinale 2018 von mir fotografiert - ist heute ein international bekannter Regisseur (Lola rennt, Babylon Berlin). Nach ersten Anfängen in seiner Heimatstadt Wuppertal begann seine eigentliche Karriere im heutigen Kino Moviemento am Kreuzberger Kottbusser Damm...
anfaenge2
Die Anfänge des „Delphi“ gehen auf das Jahr 1921 zurück, als in dem hier an gleicher Stelle wie das Delphi stehenden alten Mietshaus die „Meckel-Lichtspiele“ ihren Einzug hielten. Die Gegend war gut gewählt, schließlich entwickelte sich Weißensee gerade zu einer Filmstadt mit zahlreichen Ateliers und Werkstätten sowie einer Vielzahl an Kinos, weswegen auch der Begriff "Klein Hollywood" kursierte.
So befand sich ganz in der Nähe, in der damaligen Franz-Josef-Straße 9 (heute Liebermannstraße), die Fag Film-Atelier-GmbH, welche hier ein ebenerdiges Glashaus für Filmarbeiten unterhielt und in dem der wohl berühmteste Deutsche Stummfilm jener Jahre, "Das Kabinett des Dr. Caligari" (1919) gedreht worden war (Regie: Robert Wiene. Die Bauten des Films waren hingegen in Babelsberg angefertigt worden unter Mitarbeit der Kulissenmaler Walter Röhrig und Hermann Warm sowie dem Architekten Walter Reimann). Ebenfalls auf dem Grundstück ansässig war das Lixie-Film-Atelier. Hier wurden Filme wie Richard Oswalds "Anders als die Anderen (1918/1919) gedreht.
Offenbar waren die „Meckel Lichtspiele“ derart erfolgreich, dass der Besitzer schon drei Jahre später plante, hier an Stelle des Wohngebäudes einen großen Kinopalast zu errichten. Ein für ihn ohne Weiteres zu realisierendes Vorhaben, schließlich betrieb er neben dem Kino auch das nach ihm benannte "Baugeschäft Julius Meckel". Da der Tonfilm noch nicht dominierte, jedoch aber im Kommen war, sollte das geplante Lichtspieltheater zumindest technisch auf den Tonfilm vorbereitet werden.
baubeschreibung3
1929 entstand, ausgeführt durch das Baugeschäft Julius Meckel sowie durch die Architekten Julius Krost (Entwurf) und Heinrich Zindel (Ausführender Architekt) ein großer kubischer Baukörper im Stil der Neuen Sachlichkeit, dessen glatte Fassadenfläche vor allem durch die von Neonröhren flankierten Werbefläche für die hier gezeigten Filme sowie dem Schriftzug „Delphi“ akzentuiert wurde.
Aufgelockert wurde das Kinogebäude durch zwei heute noch vorhandene Fensterbänder über der Hofeinfahrt, deren abschließende Dreieck-Ornamentik noch den Expressionismus der späten zwanziger Jahre anklingen lässt. Zudem verläuft unterhalb der Traufkannte ein offener Laubengang, der zu weiteren Räumen führte.
| Die Fassade des Delphi heute. Längst sind die große Werbefläche über den Eingängen und die Neonbeschriftungen verschwunden. Erhalten blieben hingegen die beiden Fensterbänder über der Hofeinfahrt mit ihrer expressionistischen Stuckornamentik. Sie stehen damit im Gegensatz zu der ansonsten im Stil der "Neuen Sachlichkeit" gehaltenen Fassade.
Der Zugang für die Besucher des Kinos erfolgt über eine der ursprünglichen drei doppeltürigen Eingänge an der Straßenseite. Von den Eingängen erreichte man das Foyer, in dem sich heute neben der Kasse auch eine kleine Bar befindet. Rechts von dieser Bar geht es durch einen mit einer Gewölbedecke versehenen Flur zum ebenerdigen Parkett, welches 545 Personen Platz bot. Vom Foyer erreicht man auch die Treppen zu den erhöht liegenden Logenplätzen, die sich an der Saalrückseite befinden und dem Rang, der sich balkonartig an einer der Saal- Längsseiten erstreckt. Hier fanden insgesamt weitere 299 Zuschauer Platz. Das Kino verfügte, wie zu Zeiten des Stummfilms üblich, über einen Orchestergraben, der für 13 Musiker ausgelegt war.
Meckel, dessen prosperierendes Baugeschäft ihn bald voll und ganz in Anspruch nahm, bespielte das Kino nach Fertigstellung nicht mehr selbst, sondern hatte inzwischen E. Palkowski zum ersten Pächter und Direktor des Delphi bestimmt. Unter Palkowski wurde das Kino am 26. November 1929 mit dem Film „Hochverrat“ eröffnet (Regie Johannes Meyer, in den beiden Hauptrollen die durch Fritz Lang seinerzeit bekannt gewordene Gerda Maurus sowie Gustav Fröhlich).
nachkriegszeit4
Den Zweiten Weltkrieg überstand das Kino verhältnismäßig gut. Die Wiedereröffnung erfolgte daher schon 1945 nach einer eher provisorischen Instandsetzung. Dabei wurde jedoch ein Bombenschaden im Dachbereich übersehen, der zum unbemerkten Eindringen von Wasser vor allem im Bereich der eingezogenen Saaldecke führte. 1946 pachtete die "Astra-Delphi-Lichtspiele GmbH" das Gebäude. 1952 wurde das Gebäude der in West-Berlin ansässigen Gesellschaft auf Anordnung des Ostberliner Magistrats unter Treuhandverwaltung gestellt und ab 1955 durch die "VEB Filmtheater" übernommen.
1959 kam es aufgrund des alten Bombenschadens und dem dadurch eindringenden Wasser zu einem folgenschweren Zwischenfall, als durch die Feuchtigkeit gelöste Stuckteile in den Saal fielen. Am 12. Februar 1959 wurde das Kino nach ausgiebigen Untersuchungen der Baubehörden geschlossen. Offenbar nutzte man nun die Gelegenheit, das noch immer unter Treuhandverwaltung stehende Gebäude endgültig den West-Berliner Eigentümern zu entziehen. 1960 kam es zu einer Zwangsversteigerung, bei welcher der Ostberliner Magistrat dabei als einziger Bieter auftrat und das Haus für 120.000 Mark erwarb. Die im Anschluss geplante Sanierung des Kinos jedoch unterblieb.
Während das Foyer des ehem. Kinos in den folgenden Jahren abwechselnd als Gemüse- und Wäschelager, Lagerraum der Zivilverteidigung der DDR sowie als Briefmarkengeschäft zweckentfremdend genutzt wurde, dämmerte der Kinosaal vor sich hin.
aufbruch5
| Der berühmte, angeblich im "Moka Efti" spielende, jedoch im "Delphi" aufgenommene Auftritt der der Sängerin "Psycho Nikoros" (Severija Janusaukaite) mit ihren der TV - Serie "Babylon Berlin" auch die Titelmusik verleihenden Song "Zu Asche, zu Staub". Direkt vor der Bühne ist im Video unter den tanzenden Gästen auch "Charlotte Ritter" (Liv Lisa Fries), die weibliche Hauptrolle der Serie, zu sehen. Zum Abspielen des Videos auf YouTube bitte auf das Bild klicken.
Nach 1990 nutzte das Foyer ein Orgelbauer als Ausstellungsraum, nach dessen Konkurs das Gebäude 2005 zwangsversteigert wurde. Ab 2013 übernahmen Nikolaus Schneider und Brina Stinehelfer das Haus, dessen Technik komplett saniert werden musste, um z. B. den Anforderungen des Brandschutzes zu genügen. Viel Geld wurde benötigt, das jedoch durch die Schweizer Edith Maryon Stiftung, welche Mitte 2016 das Gebäude erwarb, aufgebracht werden konnte.
Doch dann der Rückschlag: Bei einem Einbruch wurde die gesamte Technik im Wert von 100.000 Euro gestohlen. Ein „Tag der offenen Tür“ mit Benefizveranstaltungen am 3. Dezember 2017 (bei der auch zeit-fuer-berlin.de anwesend war) sowie ein Crowdfunding – Projekt sollten nun das für den Stadtteil wie auch für das Gebäude des ehem. Kino so wichtige Kulturprojekt vor dem Aus bewahren. Das Delphi überlebte - bis heute...
Ich wünsche den Betreibern, Brina Stinehelfer und Nikolaus Schneider, viel Erfolg, auf das dieser wunderbare Ort auch für jene, die nach uns kommen, erhalten bleibt. Negativbeispiele gibt es genug - Erfolge bei der Erhaltung historischer Orte viel zu wenige...
Blick6
Das ehem. Delphi-Kino gehört wohl zu den bemerkenswertesten Veranstaltungsorten Berlins. Es strahlt eine besondere Atmosphäre aus - weil es eben nicht vollständig saniert, sondern weitgehend in einem ursprünglichen Zustand wie bei der Wiederentdeckung des Gebäudes durch die heutigen Betreiber belassen worden ist.
Kein Wunder also, das es als Filmdrehort der erfolgreichen TV-Serie "Babylon Berlin" ausgewählt worden ist und hier das ehem. Café "Moka Efti" mit seinem ambivalenten Nachtleben im Kellergeschoss darstellt.