BEZIRK STEGLITZ-ZEHLENDORF VON BERLIN
Stellwerk und Bahnhof Lichterfelde-Ost
Stellwerk "Lio"
Stellwerk und Bahnhof Lichterfelde - Ost
Teil 2
Topanker
Zweiter Teil. Inhalt und Kapitelübersicht
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Bahntrasse6
Die Arbeiten zu einer Höherlegung der Bahntrasse beginnen 1913 mit dem Abriss des Bahnhofs "Lichterfelde Ost" und der Verlegung der Gleise auf einem zuvor aufgeschütteten Damm. In diesem Zusammenhang entstehen durch die königl. Eisenbahn - Bauabteilung bis 1915 auch die Brücken über die Königsberger Straße und durch den Regierungsbaumeister Richard Tietzen (u. a. Erweiterungsbau des Rathaus Lichterfelde) das der Brücke benachbarte Toilettengebäude.
Zwischen 1915 – 1916, also inmitten des Ersten Weltkriegs, wird ein neues Bahnhofsgebäude, das im Grunde aus einem langem Zugangstunnel zu den auf dem Damm liegenden drei Bahnsteigen sowie einigen Nebenräumen besteht, errichtet. Auch ein kleiner Güterbahnhof mit fünf Gleisen wird angelegt.
Um die Vielzahl an Weichen und Signalen sicher steuern zu können, entstehen zwei Stellwerke. Für den Vorortverkehr das Stellwerk Lmt“ und für den Fern- und Güterverkehr das Stellwerk „Lio“. Verantwortlich für den Bau der Stellwerke sowie für die gesamten Bahnanlagen sind der Baumeister Karl Cornelius sowie sein Mitarbeiter Alfred Lücking.
Nach dem der Versuchsweise auf den Vorortgleisen der Anhalter Bahn betriebene elektrische Bahnverkehr im Laufe der Zeit seine Bewährungsprobe bestanden hatte, wurde der elektrische Vorortbetrieb 1929 auch in Lichterfelde Ost auf das gängige System des bald als „S- Bahn“ bezeichneten neuen Verkehrsmittels umgestellt.
| Karte der Deutschen Reichsbahn (DDR) der Bahnhofsanlagen in Berlin (West) von 1955, die in etwa den Ausbaustand von 1915 noch erahnen lässt. Der Standort des Stellwerkes Lio wurde blau markiert. Der "Nahbahnsteig" (Regionalbahn) kann 1955 jedoch nur noch eingleisig angefahren werden. Vom Vorortbahnsteig (S- Bahn) besteht hingegen eine Gleisverbindung zum Regionalbahnsteig, der damit für die S- Bahn nutzbar ist. Die Gleise der Fernbahn sind bis auf eins stillgelegt. Ganz unten sind die Gleise des ehem. Güterbahnhofs eingezeichnet. Heute befindet sich rechts neben dem Bahnhofszugang an Stelle der Zufahrt zum Güterbahnhof das Einkaufszentrum "Lio".
Nachkrieg7
| Das Stellwerk "Lio" vor dem Umbau. Bereits bauzeitlich gab es im Erdgeschoss Läden. 2002 wurde der bereits stark bewachsene Bahndamm mit den "Kranold-Arkaden" überbaut und das hierin integrierte Stellwerk zu einem Restaurant umgewandelt.
Nach dem Krieg und der sich abzeichnenden Teilung gingen 1952 die Fernbahnsteige in Lichterfelde Ost außer Betrieb. Allein der S- Bahnverkehr blieb erhalten. Nach der Übergabe der S- Bahn von der DDR-Reichsbahn an die West-Berliner BVG wurde 1984 jedoch auch der S- Bahnbetrieb in Lichterfelde Ost eingestellt. Erst nach der Wiedervereinigung wurde der S- Bahnverkehr 1995 wieder eröffnet. Die Fernbahn erreichte am 28. Mai 2006 mit der Eröffnung des Nord-Süd-Fernbahntunnels den Bahnhof Lichterfelde Ost.
Bereits 2002 wurde der alte Güterbahnhof geschlossen. An seiner Stelle entstand das Einkaufszentrum "LIO". Zudem wurden entlang des Bahndamms die "Kranold - Arkaden" errichtet, als dessen Teil bis 2006 das unter Denkmalschutz stehende Stellwerk „Lio“ zusammen mit der benachbarten ehem. Toilettenanlage zu einem Restaurant umgebaut worden ist.
| Blick in das Innere des Stellwerks. Bis 1960 tat der Großvater von Wolfgang Behrend hier seinen Dienst. Foto mit freundlicher Genehmigung Wolfgang Behrend.
| Blick in das Innere des Stellwerks. Der Großvater von Wolfgang Behrend während einer kleinen Zigarettenpause am Stelltisch. Foto mit freundlicher Genehmigung Wolfgang Behrend.
Gueterbahnhof8
Der Güterbahnhof Lichterfelde Ost ist bereits in einigen Teilen im Bereich des Einkaufszentrums verschwunden. Anderes ist unter Wildwuchs kaum mehr zu erahnen. Ein Eisenbahnverkehr jedenfalls findet hier nicht mehr statt. Die diversen Güterschuppen werden lediglich von LKW noch angefahren.
Der schematische Gleisplan links zeigt die ursprüngliche Ausdehnung der Gleisanlagen. Manches besteht noch heute, anderes wurde längst beseitigt. Eine Orientierung bieten die nachfolgenden Fotos, deren Standorte aus dem Gleisplan zu entnehmen sind.
| Plan des Güterbahnhofs, ca. 1960er Jahre. Die farblich hervorgehobenen Nummern geben die Standorte der nachfolgenden Fotos wieder.
| Nr. 1 Die ehemalige westliche Zufahrt zum Güterbahnhof (Bildmitte) am Kranoldplatz. Heute befindet sich hier und an Stelle der rechts sichtbaren Ladenzeile das Einkaufscenter LIO.
| Nr. 1 Fast die selbe Perspektive wie auf dem Bild zuvor. Nun erhebt sie hier jedoch das Shopping - Center "Lio".
| Nr. 2 Schuppen gegenüber dem heutigen Telekom - Gebäude. offensichtlich laufen gerade einige Renovierungsarbeiten.
| Nr. 3 Einfahrt Amalienstraße. Rechts der einst für das Militär vorbehaltene Güterschuppen.
| Nr. 3 Nach dem der dem Bahnhof nächstgelegene Teil des Güterbahnhofs für das Einkaufscenter beräumt wurde, Blieb heute nur noch der hintere Teil an der Amalien- und Charlottenstraße erhalten. Die Gleise indes auf der Rückseite der alten, nur noch von LKWS angefahrenen Güterschuppens verrotten jedoch.
| Nr. 4 Erheblich jünger als das vorstehende Gebäude scheint dieser Güterschuppen zu sein. Er wird im Wesentlichen von einer Spedition genutzt.
| Nr. 4 Die Gleisseite. Längst ist hier der letzte Güterwagen entladen worden und sind die Gleise zugewachsen.
| Nr. 4 Kurz vor der Seydlitzstraße steht dieses alte Backsteingebäude.
| Nr. 4 Das Gebäude soll angeblich - zusammen mit dem weißen, heute einer Autowerkstatt dienenden Anbau, für die Reparatur von Kleinloks genutzt worden sein.
Wirtschaft9
Die „Bahnhofs – Wirtschaft“ in Lichterfelde Ost ist Kult. Dass dem so ist, ist vor allem „Irmchen“ Irmgard Neitzel, der Großmutter der heutigen Besitzerin, zu verdanken. Denn „Irmchen“ war ein uriges, einst weithin bekanntes Berliner Original, zu dem es auch Kabarettisten wie Wolfgang Gruner immer wieder zog. Wer mit ihm befreundet war, der durfte den Wunsch, ihn nach Lichterfelde Ost in seine Stammkneipe zu begleiten, nicht ausschlagen.
Irmgard Neitzel, am 29. März 1930 in Teltow geboren, ging zusammen mit ihrer Mutter am 5. November 1958 nach West – Berlin, um hier „in Stellung“ als Kindermädchen zu arbeiten. Klar, dass dabei auch immer wieder gekocht werden musste, was die lieben Kleinen so liebten. Auf diese Weise lernte sie Berliner Hausmannskost kennen und lieben – und vor allem selber kochen. Es war naheliegend, diese Fertigkeit später auch in einem anderen, größeren Rahmen umzusetzen.
| Die "Bahnhofs - Wirtschaft" am Jungfernstieg, der im Gegensatz zum Kranoldplatz erheblich ruhigeren "Rückseite" des Bahnhofs Lichterfelde Ost. Die Wirtschaft entstand zugleich mit dem Bau des Bahnhofs.
| Gemütlich geht es zu in der "Bahnhofs - Wirtschaft", die mit viel Liebe eingerichtet ist.
Ihre erste Kneipe eröffnete Irmgard Neitzel am Hindenburgdamm 18 in Steglitz. 1986 dann die Entscheidung, die fortan ihr ganzes Leben bestimmen sollte: beherzt griff sie zu, als ihr die Bahnhofs – Wirtschaft in Lichterfelde Ost angeboten wurde. Legendär wurde ihre Art, Bier zu zapfen. Mindestens 7 Minuten musste das dauern – da gab es nichts. Und ihre Lokalrunden, die sie Stammgästen mitunter ausgab, waren dank des von Irmchen so geliebten Bärwurz berühmt–berüchtigt.
Doch die Zeit hinterließ bald auch an Irmchen ihre Spuren. Die letzten Jahre im Rollstuhl sitzend, übernahm zunehmend ihre Enkelin Sandra die Versorgung der Gäste. Am 31. Mai 2016 blieb Irmchen den Stammgästen für immer fern. Doch keine Bange, seitdem führt Ihre Enkelin, Frau Sandra Nouza - Modritsch, das Lokal im alten Stil weiter. Und die Bouletten - und auch der Kaffee - schmecken, wie ich bestätigen kann…
| Allerlei Liebenswertes aus der Geschichte der Bahnhofs - Wirtschaft. Ob Werbeanzeige mit stilisierter Lokomotive der Irmgard Neitzel, ob Autogrammkarte des Stammgastes Wolfgang Gruner oder Jubiläumsfotos. Sie alle sind Zeugnisse einer langen Lokal - und Familiengeschichte.
| Ein Original - Blechschild aus jener Zeit, als man von Lichterfelde Ost (eigentlich an der Anhalter Bahn gelegen) zum Potsdamer Ringbahnhof bzw. dem Potsdamer Wannseebahnhof (beide waren Nebenbahnhöfe des zerstörten Potsdamer Fernbahnhofs am Potsdamer Platz) fahren konnte.
Halle10
Der zu Beginn des Ersten Weltkriegs in den Jahren 1915 – 1916 errichteten Bahnhofshalle, die im Grunde nur ein Durchgang zwischen dem Kranoldplatz und dem Jungfernstieg ist, sieht man ihre Baufälligkeit an. Im hinteren Teil der Halle am Jungfernstieg hängen weiße Stoffbahnen an der Decke, die Passanten vor herabfallenden Putz schützen sollen. Im vorderen Teil Richtung Kranoldplatz liegen rostende Stahlträger in der Decke frei, die durch die über Jahrzehnte in das Bauwerk eindringende Feuchtigkeit in Mitleidenschaft gezogen worden sind. In den letzten Jahren wurde daher die äußere Abdichtung des Bauwerks - teilweise unter Entfernung der Gleise - erneuert. Die Renovierung der Halle jedoch steht noch an.
Trotz aller baulichen Unzulänglichkeiten ist die Halle noch immer ein Hingucker: grüne Keramik an den Wänden, Stuckornamente, kunstvoll gearbeitete hölzerne Türen und ein aufwendiger Bodenbelag lassen noch viel vom ursprünglichen Gestaltungswillen des Baumeister Karl Cornelius sowie seines Mitarbeiter Alfred Lücking spüren. Hoffen wir, dass die notwendigen Sanierungsarbeiten den alten Charme wieder vollständig herstellen werden.
| Aufgang von der Bahnhofshalle zum S - Bahnsteig. Der Bahnhof ist renovierungsbedürftig. In den letzten Jahren wurde die äußere Abdichtung des Bauwerks komplett erneuert. Im Inneren jedoch verhindern unter der Decke aufgespannte weiße Tücher ein Herabfallen des durch eindringende Feuchtigkeit brüchig gewordenen Putzes auf Passanten.
| Das gewaltige Eingangsportal am Kranoldplatz. Hier beginnt die bis zum Jungfernstieg durchgehende Bahnhofshalle, die im Grunde nur ein Zugangstunnel zu den Bahnsteigen mit ein paar Nebenräumen ist.
| Kunstvolle Eingangstüren an beiden Hallenenden, wie hier an der Jungfernstiegseite.
| Aykent Yilmaz und sein Obst - und Gemüsestand im Bahnhof Lichterfelde Ost.
Er ist längst eine Institution im Bahnhof Lichterfelde Ost: Aykent Yilmaz und sein riesiger Obst- und Gemüsestand. Rund um die Uhr können hier die Kunden vitaminreiche Früchte und wohlschmeckendes Gemüse erwerben. Zwar kommen insbesondere während der Betriebspause der S- Bahn nur wenige Kunden in den Bahnhof, doch spart dies den aufwendigen Aufbau des riesigen Standes. Und in den frühen Morgenstunden sind schon wieder die ersten Käufer zur Stelle, die es vor allem auf die Obstbecher fürs Büro abgesehen haben.
Aykent Yilmaz hatte zuvor viele Jahre auf dem Kranoldmarkt Obst und Gemüse angeboten, ehe er 2014 den Stand im Bahnhof übernahm, dessen Besitzer aus Altersgründen aufhören musste.