Old Texas Town
Paulsternstraße 18
Beginn1
1 | Eine Bitte zu Beginn
Bild und Text: Lutz Röhrig
Es gibt so diese Dinge, die einen sentimental stimmen. Hierzu gehört ganz sicher auch unser Besuch in der von Schließung bedrohten Westernstadt „Old Texas Town“. Denn der Eigentümer des Pachtgrundstücks, auf dem die Westernstadt vor über 50 Jahren errichtet wurde, hat die Kündigung ausgesprochen. Doch noch besteht angesichts des großen, öffentlichen Interesses Hoffnung. Eine Hoffnung, die im wesentlichen auf eine Online – Petition beruht.
Ich möchte Sie daher bitten, der Westernstadt Ihre Stimme zu geben. Am besten noch heute. Denn Spandau würde sonst seine nach der Zitadelle meistbesuchte Kultureinrichtung verlieren…
Kultur2
2 | Old Texas Town - eine Kultureinrichtung
Der Refrain liegt sicher vielen noch im Ohr: „Old Texas Town, die Westernstadt, liegt mitten in Berlin…“. Nun, wenn auch die Textzeile „liegt mitten in Berlin“ angesichts der Lage von „Old Texas Town“ an der Spandauer Paulsternstraße nicht ganz wörtlich zu nehmen ist, am Herzen liegt uns die alte Westernstadt seit jenem aus dem Jahre 1980 stammenden Song der Hamburger Band „Truck – Stop“ ganz sicher.
Viele Jahrzehnte sind seit jenem Song der Band vergangen. „Old Texas Town“ gehört inzwischen nach der „Zitadelle“ zur Nummer zwei der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten Spandaus. Ungezählte Besucher haben die Westernstadt bei Besuchertagen, Betriebsfeiern, Hochzeiten usw. besucht – und dabei viel von der amerikanischen Geschichte und der seiner Ureinwohner kennengelernt. Denn „Old Texas Town“ wird von den Mitgliedern des „Cowboy Club Old Texas Berlin 1950 e. V.“ als ein Ort betrieben, der möglichst authentisch die Zeit der Kolonialisierung des amerikanischen Westens zwischen 1865 und etwa 1900 wiedergibt.
Die Town ist damit keine Manifestation allseits bekannter Westernklischees, sondern ein Ort, der das in Jahrzehnten zusammengetragene Wissen der Mitglieder über den amerikanischen Westen auch an möglichst viele Interessierte – Kinder wie Erwachsene – weitergeben möchte.
Mehrere Westernhäuser beinhalten kleine Museen, die mit ihren Exponaten über die Kultur der amerikanischen Ureinwohner, der amerikanischen Siedler, dem Bürgerkrieg sowie - im Nachbau des „Fort Alamo“ - über die Geschichte des Texanischen Freiheitskampfes informieren. „Old Texas Town“ ist kein billiger Rummelplatz, sondern dank der ambitionierten Mitglieder des Westernclubs tatsächlich eine ernstzunehmende Kultureinrichtung, in der jedoch auch der Spaß und das Feiern nicht zu kurz kommen.
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3 | Unser Besuch im Town Old Texas
Mit einem herzlichen „Hallo“ begrüßte uns der „Bürgermeister“ der Westernstadt und 1. Vorsitzender des „Cowboy Club Old Texas Berlin 1950 e. V.“, Ralf Keber (Vereinsname: Jack Hunter) zum zuvor telefonisch vereinbarten Termin. Es begann ein interessanter Rundgang durch die Westernstadt mit vielen Antworten auf unsere Fragen. Dass der Aufbau einer Stadt wie „Old Texas Town“ durch die Mitglieder viele Jahre gedauert haben muss, wurde dabei deutlich.
Denn wer bei „Old Texas Town“ an irgendwelche hölzernen Kulissen schlechter Westernfilme denkt, liegt vollkommen falsch. Es sind im Laufe der Jahrzehnte feste, begehbare Bauwerke entstanden, die mit ihrer möglichst authentischen Einrichtung eine ganz bestimmte Funktion als Museum, als Saloon für Feierlichkeiten oder auch zur Demonstration der Lebensweise der amerikanischen Siedler jener Zeit nach dem Bürgerkrieg zu erfüllen haben.
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4 | Ein Verein mit Geschichte
Wie kam es eigentlich zur Gründung des Western – Vereins? Nun, diese Fragen beantwortete unser „Stadtführender Bürgermeister“ nur zu gern. Der „Berliner Cowboy Club“ wurde am 18. Mai 1939 von P. F. H. Überdieck und seinem Freund Robert Driest gegründet. Im Verborgenen natürlich, da in jener Zeit ausgerechnet ein Verein, der die Geschichte des amerikanischen Westens zum Thema hat, nicht eben wohlgelitten war. Einem Teil der Mitglieder gelang es jedoch, 1941 - unter parteilicher Aufsicht – in Neukölln den „Cowboy Club Berlin“ zu gründen. Nach außen hin – z. B. bei Veranstaltungen - hatte sich der Club, so eine behördliche Auflage, als „Club Deutscher Weidereiter“ darzustellen.
Nach dem Krieg wurde von den Alliierten zunächst ein Verbot und die Auflösung aller Clubs angeordnet. Ein Vorteil, der die Neugründung des Clubs von 1939 erleichterte, war jedoch dessen Lage im amerikanischen Sektor Berlins. Die Amerikaner, welche das Interesse an ihrer eigenen Geschichte begrüßten, unterstützten das Projekt. Allerdings musste der Zusatz „Old Texas“ in den Vereinsnamen mit aufgenommen werden.

| Keine nordamerikanische Stadt ohne Sheriff und einem Jail (Gefängnis). Schon mancher Ehemann soll hier auf Geheiß seiner Ehefrau "eingesperrt" und erst unter dem Versprechen ewiger Treue entlassen worden sein...
In einer Kneipe in der Spandauer Innenstadt wurde nun beschlossen, den Verein in das Vereinsregister eintragen zu lassen. Am 11. März 1950 erfolgte der Eintrag unter dem heutigen Namen „Cowboy Club Old Texas Berlin 1950 e. V.“
Jeder Verein braucht per Satzung einen Vorstand und einen Vorstandsvorsitzenden. Zum 1. Vorstandsvorsitzenden und damit „Bürgermeister“ wurde 1951 Fritz Walter (Town-Name: Ben Destry) gewählt. Er blieb dies bis zu seinem Tod am 28. April 2008. Ihm folgte der aktuelle 1. Vorsitzende Ralf Keber. Damit hat es in der Nachkriegsgeschichte der Town nur zwei Vorsitzende gegeben – eine bemerkenswerte Kontinuität.
Die ersten Treffen fanden weiterhin im Hinterzimmer der Spandauer Kneipe statt. In jener Zeit so kurz nach dem Krieg fand sich jedoch schnell ein alter Keller eines zerstörten Mietshauses, welcher als Vereinsheim ausgebaut werden konnte. Später stand ein Geländestreifen am Ufer der Spree zur Verfügung, dem Mitte der 1950er Jahre ein Gelände neben dem Kraftwerk Reuter folgte.
Hier entstand auch das erste feste Gebäude, die 1956 fertiggestellte „Lone-Star-Ranch“ im alten Texas-Stil mit der typischen Veranda vor der Front. Im Inneren befand sich eine Küche, die „Texasbar“ und das Marshall’S Office. Als zweites Gebäude folgte ein „Bunkhouse“ das zusammen mit der Ranch dem Besucher des Geländes bereits das Gefühl einer Westernstadt vermittelte.
Bekannt wurde die Westernstadt aber auch durch ihre Auftritte bei den damals sehr beliebten Polizeisportfesten im Olympiastadion und in der Waldbühne. Ab den 1960er Jahren war der Cowboyclub auch Mitveranstalter des deutsch-amerikanischen Volksfestes, dessen dortige Westernstadt von den Mitgliedern betreut wurde. Mit der Zeit waren die Häuser des Volksfestes jedoch aus Kostengründen nur noch bloße Fassade, was zum Rückzug des Cowboyclubs führte.
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5 | Der Umzug zur Paulsternstraße
Die Erweiterung des Kraftwerks Reuter, in dessen Nachbarschaft sich ja das Gelände des Cowboyclubs befand, führte 1968 dazu, dass der Verein seine Westernstadt aufgeben musste. Doch Fritz Walter besaß Beziehungen zur Fa. Siemens, die dem Verein ein nicht benötigtes, 15.000 qm großes Gelände an der Paulsternstraße verpachtete. Der Aufbau der Westernstadt auf dem heutigen (damals jedoch noch größeren) Gelände begann. Kein leichtes Unterfangen. Wie sollte die Westernstadt aussehen? Was sollte wo stehen?
Doch mit der Zeit kamen die schließlich realisierten Ideen. Die alte Ranch an der Spree wurde abgerissen, weiteres Holz und Steine wurde insbesondere von Abbruchhäusern – z. B. denen an der Spandauer Weverstraße, wo gerade die alten fiskalischen Häuser für Neubauten beräumt wurden – organisiert.
Die ausschließlich ehrenamtlich tätigen Mitglieder erbrachten während jener Jahre große Opfer an Geld und Zeit, um die Westernstadt in möglichst authentischer Gestaltung nach dem Vorbild des 19. Jahrhunderts aufzubauen.
Am 5. Mai 1973 konnte schließlich „Mary’s Saloon“, das größte Gebäude der Westernstadt, eröffnet werden. Benannt wurde der 180 Plätze fassende Saloon nach der Ehefrau Ben Destrys. Weitere Häuser entstanden im Laufe der Zeit, wie etwa das Courthouse, die Bank of Texas, das Fort Steuben mit dem Alamo-Denkmal oder die in einem Canyon versteckte mexikanische Cantina.
Am 3. Dezember 2002 musste die Westernstadt einen herben Rückschlag verzeichnen. Ein Brand zerstörte das Courthouse und den benachbarten Store. Das Courthouse wurde später durch Ben Destry in kleinerer Form wiederaufgebaut.
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6 | Die neue Mehrzweckhalle
Einen tiefgehenden Eingriff in die bestehende Westernstadt stellte der beabsichtigte Bau einer „Mehrzweckhalle“ („Siemens – Arena“) für rund 18000 Besuchern dar, die unmittelbar nördlich angrenzend an die Westernstadt bis 2003 entstehen sollte. Die Pläne der nach einem Entwurf der Architekten Kny und Weber geplanten Mehrzweckhalle wurden im Jahr 2001 der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Pläne der Investoren für eine neue Mehrzweckhalle fanden im Hinblick auf die abzureißende Deutschlandhalle sowie der ebenfalls rückzubauenden Eissporthalle an der Jafféstraße durchaus die Zustimmung des Senats wie auch des Bezirks Spandau. So sollte die neue Halle u. a. auch Heimstätte für den Eishockey-Club „Capitals“ werden.
Vor diesem Hintergrund hatte der Westernclub Baufreiheit zu schaffen. Die mexikanische „Cantina“, das „Fort Steuben“ samt dem „Blockhaus“ sowie die „Hall of Historie“ mussten versetzt werden. Die „Cantina“ wurde an ihrem neuen Standort innerhalb der Westernstadt 2003 wiedereröffnet.
Zwischenzeitlich kam es jedoch hinsichtlich der Spandauer Mehrzweckhalle zu einer Umplanung. Die bisher für rund 18.000 Zuschauern geplante Mehrzweckhalle wurde nun am Ostbahnhof errichtet (spätere „O2 – Arena“). Dementsprechend wurde die Spandauer Veranstaltungshalle auf eine Kapazität von insgesamt (mit Stehplätzen) 5000 Zuschauern reduziert sowie auf etwa der Hälfte der neuen, erheblich kleineren Halle ein „Aldi-Markt“ und ein Fitnesscenter eingerichtet. Im September 2015 erfolgte die Eröffnung.
Auf einem weiteren Restgrundstück südlich der Westernstadt begannen im Jahr 2008 Arbeiten für ein Gewerbezentrum, das den Namen „Siemensstadt-Park“ erhielt. Für die Westernstadt bedeutet dies, dass der alte Friedhof, die Besuchertoilette, das Bergwerk sowie der Canyon – eine Fläche von rund 5000 qm - zugunsten des Gewerbezentrums aufgegeben werden mussten.
Es entstand durch die Mitglieder eine neue Toilettenanlage und ein neuer Friedhof. Zudem wurde das gesamte Gelände der Westernstadt mit einem typischen Palisadenzaun umgeben, dessen Tor von zwei 7,50 m hohen Türmen flankiert wird – dem neuen Wahrzeichen von „Old Texas Town“. 2010 wurde der Gewerbepark, in dem aktuell u. a. ein Küchenstudio, ein Möbelkaufhaus sowie ein Veranstaltungsmanager ansässig sind, eröffnet.
| Der Stammtisch des "Bürgermeisters" im Saloon wird vom Modell eines amerikanischen Flussdampfers geziert. Eine alte Geschichte verbindet sich für mich mit derartigen Flussdampfern: 1857 begann ein gewisser Samuel Longhorn Clemens in St. Louis mit seiner Ausbildung als Lotse auf einem Mississippidampfer, 1859 erhielt er die entsprechende Lizenz. 1863 begann er sich als Schriftsteller zu betätigen. Als Pseudonym wählte er den alten Ruf der Mississippi-Flußschiffer, den diese bei der Ablesung des Lotes für die Wassertiefe ausriefen: "Mark Twain". "Twain" ist im alten englischen Dialekt ein Wort für "two".

| Die Theke der Cantina, liebevoll im Vordergrund dekoriert.
| Die eher positive Haltung der Deutschen gegenüber den "Indianern" ist nicht zuletzt ihm zu verdanken: Karl May. Seine Romanhelden Old Shatterhand und dessen Blutsbruder Winnetou waren auch bereits damals große Sympathieträger - leider nicht in den USA, wo ein Karl May bis heute fast unbekannt ist.
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7 | Die Westernstadt ist in Gefahr
Mit der Abgabe von Grundstücksteilen hätte eigentlich der Weiterbestand der Westernstadt gesichert sein sollen. Doch 2025 erhielt die Westernstadt vom Grundstückseigentümer die Kündigung. Bis zum 31.8.2025 solle das Gelände übergeben werden. Damit würde eine weithin bekannte Einrichtung aufgegeben werden müssen, die nach der „Zitadelle“ der am stärksten besuchte Veranstaltungsort in Spandau ist.
„Old Texas Town“ ist nicht nur die älteste Westernstadt Deutschlands, sondern mit ihren wehrhaften Palisadentürmen und den mit ihren rund 75 Jahren als historisch anzusehenden Westernbauten auch ein Wahrzeichen des Bezirks wie der Rathausturm, die Havel oder eben die Zitadelle. Ein Wahrzeichen für Spandau? Eigentlich auch für die Stadt insgesamt, denn schließlich heißt es in dem deutschlandweit bekannten Song der Hamburger Gruppe „Truck Stop“, das „Old Texas Town“ mitten in Berlin liegen würde…