Blumen-Jette


Karl-Marx-Straße 178

Blumen-Jette

Karl-Marx-Straße 178

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Einleitung1

1 | Einleitung. Nur ein alter Blumenladen...

Bild und Text: Lutz Röhrig 

Mit der Schließung alter Traditionsgeschäfte verändert sich nicht nur der Charakter so mancher Einkaufsstraße, sondern es geht zugleich auch ein Stück lebendige Bezirksgeschichte verloren, die oft weit in die Vergangenheit zurückreicht. Eines der vielen Beispiele hierfür ist das Floristik-Fachgeschäft „Blumen Jette“ in der Neuköllner Karl-Marx-Straße 178. 


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Die Geschichte dieses Geschäftes lässt sich nur unschwer von der des Grundstückes Nr. 178 trennen, zumal der Ursprungsbaubestand aus dem Jahre 1827 zumindest im hinteren Teil des Grundstücks bis heute erhalten blieb und somit auf den landwirtschaftlichen Ursprung des einstigen Rixdorfes (ab 1912 Neukölln) verweist. Das 1890 an Stelle des Bauernhauses entstandene, mehrstöckige Vorderhaus hingegen markiert jene Zeitenwende, in welcher die Landwirtschaft zunehmend durch Handel und Gewerbe verdrängt wird. 

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Das alte Miethaus der Familie Eggert in der Neuköllner Karl-Marx-Straße aus dem Jahre 1890, in dem sich das Geschäft von "Blumen-Jette" befindet.

| Das alte Miethaus der Familie Eggert aus dem Jahre 1890. Ursprünglich trug es die Adresse "Bergstraße 39", seit 1947 "Karl-Marx-Straße 178". Das Gebäude mit seinen von Anfang an vorhandenen Ladenlokalen ist Ausdruck des sich vom Ackerbau als Haupterwerbszweig hin zu Handel und Gewerbe lösenden Rixdorf (ab 1912 Neukölln).


Mittlerweile wirkt das seit fast 100 Jahren bestehende Geschäft von "Blumen-Jette" wie ein Fremdkörper im sich stark verändernden Branchenmix der Karl-Marx-Straße.

| Mittlerweile wirkt das seit fast 100 Jahren bestehende Geschäft von "Blumen-Jette" wie ein Fremdkörper im sich stark verändernden Branchenmix der Karl-Marx-Straße. 

Auf dem Grundstück Karl-Marx-Straße 178 kulminieren somit beide Erwerbszweige: Landwirtschaft und Handel, von denen letzterer in Form des Blumengeschäftes von 1934 bis 2023 und damit fast 90 Jahre an gleicher Stelle bestand. Durch die erhalten gebliebene Bebauung und dem fast 90-jährigen Geschäft mit seiner beeindruckenden Geschichte war die Entwicklung Neuköllns physisch bis in die heutige Zeit nachvollziehbar. Vergleichbar in etwa nur mit der Geschichte der Familie Bading und des zugehörigen Fachgeschäftes Musik-Bading.

 

Die Schließung des Ladengeschäftes „Blumen-Jette“ ist damit in der historischen Dimension ein empfindlicher Verlust, auch wenn dieser Vorgang selbst als Teil einer weitergehenden Entwicklung des Bezirks und seiner Gewerbestruktur zu begreifen ist. 

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Bergstrasse2

2 | Das Grundstück an der Bergstraße

Die Geschichte des Grundstücks reicht bis ins Jahr 1825 zurück, als Marie-Louise Eggert, geborene Schulze, mit ihren Söhnen aus der Köpenicker Straße 96 im heutigen Bezirk Mitte nach Rixdorf, dem späteren „Neukölln“ zog.

 

Anlass für diesen Umzug von Marie-Louise Eggert war wohl der Tod Ihres Mannes Johann Friedrich Wilhelm Eggert, einem Berliner Schuh- und Pantoffelmacher, weswegen sie mit ihren erwachsenen Kindern nun wieder zurück an den Ort Ihrer Geburt zog. Zumindest geht beides – ihr Witwenstand und der Ort ihrer Geburt – aus einer Sterbeurkunde hervor.

 

Ganz unvermögend war sie wohl nicht, denn noch im Jahr ihres Umzugs schloss Marie-Louise Eggert einen Erbpachtvertrag für das Grundstück Bergstraße 29 (später 39), der heutigen Karl-Marx-Straße 178, ab, welcher sie zu einer Zahlung von „40 Thaler Courant“ jährlich verpflichtete.

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Blick in den Hof des Gebäudes Karl-Marx-Straße 178. Das Gesindehaus (links) wurde 1827 von der Witwe Marie-Louise Eggert errichtet.

| Blick in den Hof des Hauses Karl-Marx-Straße 178. Das Gesindehaus (links) mit dem nur noch selten anzutreffenden Bohlenbinderdach stammt aus dem Jahr 1827 und wurde von Marie-Louise Eggert errichtet. Der moderne Neubau im Hintergrund hingegen steht am Mittelweg und markiert zugleich die ursprüngliche Ausdehnung des Grundstücks.


| Das Gesindehaus erhielt zwischen 1890 und 1904 einen Remisen-Anbau, über dessen doppelflügigem Tor eine Gedenktafel für Marie-Louise Eggert angebracht wurde. Der Vorname schrieb sich aber ausweislich der Dokumente "Louise". Ebenfalls zu sehen: Leider verschwanden im Laufe der Zeit die hölzernen Klappläden, deren Kloben (Zapfen) sich teilweise noch neben den Fensterrahmen befinden.

Zudem veranlasste sie wohl umgehend den Bau eines Gesindehauses auf dem rückwärtigen linken Teil des von der Bergstraße bis zum Mittelweg durchgehenden Grundstücks. Es wurde mit einem Bohlenbinderdach versehen, da dieser 1561 vom französischen Hofarchitekten Philibert de l'Orme entwickelte und von David Gilly (7.1.1748 Schwedt-5.5.1908 Berlin) weiter verbesserte Typus durch seine Konstruktion besonders holzsparend war – ein in der Zeit der Napoleonischen Kriege und der hiermit verbundenen schwierigen wirtschaftlichen Lage Preußens geschätzter Vorteil, der zu einer gewissen Renaissance dieses Dachtyps führte. Das von handgestrichenen Biberschwanz-Ziegeln gedeckte Gebäude blieb samt seiner „Schwarzen Küche“ bis heute erhalten.

 

Außer dem Gesindehaus ließ Marie-Louise Eggert zudem auch das von der Familie bewohnte Bauernhaus errichten, das direkt an der Bergstraße und damit im rechten Winkel zum Gesindehaus entstand. Beide Gebäude wurden 1827 fertiggestellt.

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Ackerbuerger3

3 | Die Familie Eggert als Ackerbürger

Den Lebensunterhalt bestritt die einstige Schuhmacherfamilie nun vor allem durch die Landwirtschaft. Marie-Louises Sohn, der noch in Berlin geborene Johann Ferdinand, welcher das Schuhmacherhandwerk durch seinen Vater erlernt hatte, wird in den Dokumenten nun auch als „Ackerbürger“ bezeichnet – also als einem in Rixdorf ansässigen Bürger, welcher seinen Lebensunterhalt in der Hauptsache durch Landwirtschaft verdient. Johann Ferdinands Bruder Johann Friedrich Wilhelm indes ist nur wenige Jahre in diesem Berufsstand tätig, er verstirbt bereits 1831 im Alter von 34 Jahren.

 

1838 wird der Sohn Ludwig August des Johann Ferdinands und seiner Frau Marie Louise (geborene Hewerer) geboren. Für die so erweiterte Familie reicht das Bauernhaus von 1827 seinem kleinen Gärtchen an der Bergstraße nicht mehr aus. Es wird 1855 erweitert. Auch das Gesindehaus reicht für den landwirtschaftlichen Betrieb nicht mehr aus. 1860 wird im rechten Teil des Hofes – dem Gesindehaus gegenüber – das noch heute erhaltene Bauernhaus errichtet.

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Die an die Witwe Marie-Louise Eggert erinnernde Gedenktafel über dem Tor des Gesindehauses im Hof der Neuköllner Karl-Marx-Straße 178.

| Die an die Witwe Marie-Louise Eggert erinnernde Gedenktafel über dem Tor der Remise des Gesindehauses.


Das dem Gesindehaus im Hof der Neuköllner Karl-Marx-Straße 178 gegenüberliegende doppelstöckige Bauernhaus von 1860.

| Das dem Gesindehaus gegenüberliegende doppelstöckige Bauernhaus von 1860.

Am 21. August 1876 stirbt der in den Dokumenten auch als „Eigentümer“ bezeichnete Johann Ferdinand im Alter von 76 Jahren. Seine in Rixdorf geborene Ehefrau Marie Louise geb. Hewerer verstirbt 5 Jahre später, am 27. Februar 1881 im Alter von 79 Jahren. Sie war die Tochter des Christian Hewerer und seiner Frau Maria geb. Henkel, die beide ebenfalls gebürtige Rixdorfer waren.

 

Die Landwirtschaft als Haupterwerbszweig der Familie Eggert bleibt indes auch für Ludwig August, der inzwischen Augusta Emilie Anna geb. Schlägel zur Frau genommen hatte, noch bedeutsam, auch wenn er die Veränderungen, denen Rixdorf mittlerweile unterliegt, zusätzlich für sich zu nutzen sucht. 

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Wohnhaus4

4 | Neubau eines Mietshauses als Ausdruck des Wandels

Rixdorf sieht sich insbesondere nach der Gründung des Deutschen Kaiserreiches einem verstärkten Wandel ausgesetzt. Wirtschaft, Handel und Industrie blühen, verdrängen zunehmend die Landwirtschaft. Der Wert der Grundstücke steigt insbesondere auch durch den enormen Zuzug von Einwohnern aus dem von akutem Wohnungsmangel betroffenen Berlin. Bald ist Rixdorf von einer ähnlichen Entwicklung des Wohnungsmarktes betroffen, wie die Nachbarstadt. Die neue Rixdorfer Bauordnung von 1887 erlaubt nun die Errichtung von 5-stöckigen Mietshäusern. Zur Hauptachse der schnell wachsenden Stadt werden die in Verlängerung der Hasenheide vom Hermannplatz abgehende Berliner Straße und deren Fortsetzung, die ab der Richardstraße beginnende Bergstraße.

 

Es war daher für Ludwig August Eggert naheliegend, das einstöckige Wohnhaus der Familie an der Bergstraße 1890 durch ein größeres, 4-stöckiges Mietshaus zu ersetzen, das neben Wohnungen nun auch im Erdgeschoß über Räume für Ladengeschäfte und einer Gaststätte verfügte. Ausgeführt wurde das Gebäude durch das Baugeschäft W. Dittrich aus der Neuköllner Steinmetzstraße 22. 

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Zwischen 1890 und 1904 wird das Gesindehaus um eine Remise (erkennbar an dem doppelflügeligen Tor direkt unter der Gedenktafel sowie den kleineren Fenstern an der Traufkante des Daches) und einem Holzschuppen ergänzt.

| Zwischen 1890 und 1904 wird das Gesindehaus um eine Remise (erkennbar an dem doppelflügeligen Tor direkt unter der Gedenktafel sowie den kleineren Fenstern an der Traufkante des Daches) und einem Holzschuppen ergänzt. 1904 kommt der Anbau eines Schlachthauses (rechts) hinzu. 


Das Bauernhaus mit dem seitlich angebauten Abortgebäude und einem Schuppen.

| Das Bauernhaus mit dem seitlich angebauten Abortgebäude von 1909. Ob die Topfpflanzen wohl aus dem Laden der Frau Horn stammen?

Trotz dieser zeitgemäßen Hinwendung zu Einzelhandel und Gaststättengewerbe betrieb die Familie im hinteren Teil des Grundstücks weiterhin Landwirtschaft. So wird das Gesindehaus mit seinem Bohlenbinderdach noch durch eine Remise und einem Holzschuppen ergänzt. 1904 kommt ein Schlachthaus hinzu, in dem lt. Bericht des Königlichen Polizeipräsidiums wöchentlich nun 4-5 Schweine geschlachtet werden. Aber auch das dem Bohlenbinderhaus gegenüberliegende Bauernhaus wird um einen Holzschuppen und einen Stall mit Ziegeldach erweitert. Zwischen dem Vorderhaus und dem Bauernhaus wird 1909 ein Abortgebäude errichtet, dem 1912 noch ein Schuppen für Altmetall folgt. Damit ist das Grundstück an der Bergstraße komplett bebaut, so, wie es sich auch heute noch mit dem Miets- und Geschäftshaus an der Karl-Marx-Straße und seinen Rückgebäuden zeigt.

 

Das Grundstück bleibt auch nach den baulichen Erweiterungen, wie die Dokumente berichten, fest in der Hand der Familie Eggert. Aus der Heirat August Eggerts mit Augusta Emilie Anna geb. Schlägel geht am 20. August 1875 Sohn Otto Robert Hermann Eggert hervor, dem letzten Angehörigen der Familie Eggert, welcher seinen Lebensunterhalt noch überwiegend als Ackerbürger verdient. Otto Eggert heiratet am 6. November 1902 Meta Dorothea Maria geb. Wanzlik, welche am 9. Mai 1874 gleichfalls in Rixdorf geboren worden war. 

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Am 18. August 1903 wird dem Ehepaar ein Sohn geboren, dem sie den Namen Fritz Ludwig Reinhold geben. Ein Jahr später, am 23. November 1904, verliert Sohn Fritz jedoch seine Mutter Meta Eggert, die lediglich 30 Jahre alt geworden war. Am 25. Dezember 1910 verstirbt seine Großmutter Augusta Eggert.

 

Mit dem Tod von Fritz' Vater August Eggert im Jahre 1911 geht zugleich, wie bereits angedeutet, die Ära des Ackerbaus und der Viehzucht der Familie Eggert zu Ende. Über die letzten Jahre der Landwirtschaft berichtet Fritz Eggert in den 1960er Jahren: „Im Bauernhaus befanden sich die Stallungen, wo Schweine und Kühe gehalten wurden. Der Landbesitz ging bis zur Köllnischen Heide, dessen Wiesen das im Gesindehaus eingelagerte Heu für die Kühe lieferten. Angebaut wurde aber auch Getreide, Saubohnen, Rüben und Kartoffeln. Nach der Ernte wurde das Gemüse im Hof geputzt und verpackt.

 

Eigentümer des Grundstücks an der Bergstraße 39 ist nach dem Tod von August Eggert 1911 nun dessen Sohn Otto Eggert. Nach der Aufgabe der Landwirtschaft wird das Gesindehaus nun zum Lager- und Wohnhaus. Eine Funktion, die es bis 1951 noch behalten sollte. Der Schlachthaus-Anbau hingegen wird weiterhin von Fleischern genutzt. Akten und auch das Berliner Adressbuch berichten aber auch davon, dass das dem Gesindehaus gegenüberliegende Bauernhaus nun gleichfalls als billiger Mietraum genutzt worden ist.

Das Schlachthaus von 1904, welches an die Stirnseite des Gesindehauses angebaut worden ist.

| Das Schlachthaus von 1904, welches an die Stirnseite des Gesindehauses angebaut worden ist.

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lick längs des Hofes in Richtung des Vorderhauses. Auch wenn sich das Grundstück früher bis zum Mittelweg erstreckte, so ist doch die damalige Enge auf Grund der dichten Bebauung zu spüren.

| Blick längs des Hofes in Richtung des Vorderhauses. Auch wenn sich das Grundstück früher bis zum Mittelweg erstreckte, so ist doch die damalige Enge auf Grund der dichten Bebauung zu spüren. Gut erhalten blieb, neben den unter Denkmalschutz stehenden Rückgebäuden, auch das Kopfsteinpflaster des Hofes. 

Das Abortgebäude von 1909 und der angrenzende Schuppen auf dem grundstück von "Blumen-Jette" in der Karl-Marx-Straße..

| Das Abortgebäude von 1909 und der angrenzende Schuppen.

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Ansichtspostkarte von Glendelin (dem Geburtsort Emil Millings), Kreis Demmin in Mecklenburg-Vorpommern. Die Karte trägt die Unterschrift eines Angehörigen der Familie Milling.

| Ansichtspostkarte von Glendelin (dem Geburtsort Emil Millings), Kreis Demmin in Mecklenburg-Vorpommern. Die Karte trägt die Unterschrift eines Angehörigen der Familie Milling.

5 | Der Blumenladen. Landschaftsgärtner Emil Milling

Das erste bekannte Dokument über den Landschaftsgärtner Emil Wilhelm Robert Milling, dem späteren Inhaber des Blumenladens auf dem Grundstück Bergstraße 39, berichtet über dessen Hochzeit im Jahre 1910. Am 25. April des Jahres, heiratete der am 24. Dezember 1882 in Ganschendorf im Kreis Demmin geborene Landschaftsgärtner Emil Wilhelm Robert Milling, welcher zu diesem Zeitpunkt in Karlshorst (Augusta-Viktoriastraße 13) lebte, die am 22. Januar 1887 in Rixdorf geborene Blumenhändlerin Emma Martha Scherfling. Frau Scherfling wohnte zusammen mit Ihrer Mutter Anna Wilhelmine Scherfling, geb. Strackow, in der Bergstraße 121. Zum Zeitpunkt der Hochzeit war ihr Vater, der Arbeiter Gustav Wilhelm Scherfling, bereits verstorben.

 

Sicher ist die Verbindung auf beruflichem Wege entstanden. Diese gewerblichen Beziehungen mögen auch dazu geführt haben, dass Emil Milling bereits kurz nach der Hochzeit den Blumenladen der Frau Margarete Hornig am Hohenzollernplatz (heute Karl-Marx-Platz) Nr. 14 übernehmen konnte. Hier, in dem einem Herrn Hoffmann gehörenden Mietshaus, sollte er über viele Jahre offenbar erfolgreich seinem Gewerbe nachgehen.

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Die Bezeichnung Emil Millings als „Landschaftsgärtner“ schon im standesamtlichen Eintrag weist darauf hin, dass er nicht nur allein als Blumenhändler tätig war, sondern auch über eine Gärtnerei verfügte, die sich alten Adressbüchern zu Folge in Buckow befunden hat. Hier wird Emil Milling als Inhaber einer Gärtnerei am damaligen, seit 1919 so benannten „Henkelweg“ (nach der einflussreichen Buckower Familie Henkel) und Inhaber des „Millingschen Hauses“ benannt. Der damals zwischen der Rudower Straße und der Johannisthaler Chaussee verlaufende Henkelweg, welcher ab 1939 dem Ortsteil Rudow zugeschlagen worden ist, existiert seit 1966 nicht mehr. 1965 wurde noch ein Teilstück des Weges in Juchaczweg umbenannt, der Rest des einstigen Weges verschwand durch den Neubau des Neukölner Krankenhauses. 

 

Ab wann Emil Milling die in späteren Adressbüchern erwähnte Gärtnerei in Buckow betrieb, ist nicht bekannt. Unterlagen über diesen Stadtteil finden sich erst ab den 1920er Jahren, als Buckow mit zur neuen Einheitsgemeinde Groß-Berlin gehörte, in die auch die zuvor selbständige Stadt Neukölln aufging. 

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Die Heiratsurkunde des in Ganschendorf im Kreis Demmin (Mecklenburg-Vorpommern) geborenen Emil Milling und seiner Frau Emma Martha Scherfling von 1910.

| Die Heiratseintragung des in Ganschendorf im Kreis Demmin (Mecklenburg-Vorpommern) geborenen Emil Milling und seiner Frau Emma Martha Scherfling von 1910.


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1936 kann Emil Milling im neuen Laden in der Bergstraße sein 50. Geschäftsjubiläum feiern. Wovon die 50 Jahre jedoch genau ausgehen, ist unbekannt.

| 1936 kann Emil Milling im neuen Laden in der Bergstraße sein 50. Geschäftsjubiläum feiern. Wovon die 50 Jahre jedoch genau ausgehen, ist unbekannt.

6 | Von Biertulpen zu Schnittblumen

Der Grundriss des 1890 fertiggestellten Mietshauses an der Bergstraße war ausgelegt für drei Geschäftslokale im Erdgeschoss mit jeweils separaten Eingängen. Während das Geschäftslokal links des Torwegs schon aus baulichen Gründen stets separat blieb, erfolgte bei den beiden rechts des Torwegs liegenden Geschäftsräumen wechselweise eine Zusammenlegung oder Trennung. Leider lässt sich die Belegung der einzelnen Geschäfte gerade für die ersten Jahre nicht eindeutig festlegen. Fest steht jedoch, das es seit Anbeginn eine Gastwirtschaft im Hause Bergstraße 30 gab. Diese wurde zunächst von A. May betrieben.

 

Herrn May folgte ab 1912 ein Herrn H. Schneider, dem 1913 Gustav Suckert, einem gelernten Maurer und zu diesem Zeitpunkt Wohnungsmieter, ablöste. Erst von seinem Lokal gibt es eine Abbildung. Diese zeigt, dass er die beiden rechts des Torweges liegenden Ladenlokale nutzte.

 

Suckert wurde 1921/ 22 von A. Janke als Wirt abgelöst, dem ein Herr Bonk und 1929 schließlich P. Else folgte. 1932 – bis 1933 wird in den Adressbüchern noch ein E. Mamlock als Wirt geführt. 

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1934 tritt dann der Wandel ein – die Kneipe geht und Emil Milling zieht nun vom Hohenzollernplatz in das Haus der Familie Eggert in der Bergstraße. Ob es hierbei zu einer Teilung der beiden, zuvor durch das Lokal genutzten Ladenlokale wieder zu zwei selbständigen Geschäften kam, lässt sich anhand des Adressbuches nur bedingt feststellen. Fest steht nur, das es auf der anderen Seite des Torwegs ein von R. Schwerdtner betriebenes Delikatessengeschäft gab, das, ebenso wie das Blumengeschäft, sogar über einen eigenen Telefonanschluss verfügte.

 

1936 und damit bereits in den neuen Räumlichkeiten an der Bergstraße kann Emil Milling sein 50-jähriges Geschäftsjubiläum feiern. Worauf dieses sich genau bezieht ist allerdings unklar. Den Gärtnereibetrieb in Buckow indes verkaufte Emil Milling samt dem sog. „Millingschen Haus“ 1938. Was genau hierzu der Anlass war, ist ebenfalls nicht bekannt. Die Kriegsereignisse scheinen keine größeren Auswirkungen auf das Grundstück an der Bergstraße 39 gehabt zu haben. Bekannt ist indes, dass Emil Millings Ehefrau Emma Martha Scherfling in den letzten Kriegstagen am 23.4.1945 durch „Feindeinwirkung“ wie es in den Dokumenten heißt, durch einen Granatsplitter derart schwer getroffen wurde, dass ihre rechte Lunge zerriss und sie augenblicklich verstarb.

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Emil Milling mit seiner zweiten Frau (links) in den 1960er Jahren vor seinem Blumengeschäft Karl-Marx-Straße 178. Ob rechts die Nachfolgerin Frau Brückner zu sehen ist, konnte bislang nicht bestätigt werden.

| Emil Milling mit seiner zweiten Frau (links) in den 1960er Jahren vor seinem Blumengeschäft Karl-Marx-Straße 178. Ob rechts die Nachfolgerin Frau Brückner zu sehen ist, konnte bislang nicht bestätigt werden.


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Frau Brückner führte das Blumengeschäft in der Karl-Marx-Straße nach dem Ruhestand des Ehepaars Milling bis zum Jahr 1972.

| Frau Brückner führte das Blumengeschäft in der Karl-Marx-Straße nach dem Ruhestand des Ehepaars Milling bis zum Jahr 1972.

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7 | Die Zeit nach 1945 bis zur Gegenwart

Eine der ersten Beschlüsse der Alliierten nach Kriegsende lautete, dass Straßen mit nationalsozialistischen oder wilhelminischen Namensanteilen umzubenennen seien. Dies betraf auch den „Hohenzollernplatz“ in Neukölln, welcher auf Vorschlag des Magistrats in „Karl-Marx-Platz“ umbenannt wurde. Neukölln war seit jeher von einer eher linksorientierten Arbeiterschaft geprägt, aus deren Reihen wohl der Vorschlag kam. Da jedoch ein räumlicher Zusammenhang zwischen der am Platz vorbeilaufenden „Bergstraße“ besteht, wurde am 9. April 1946 der Vorschlag des Magistrats von Berlin angenommen, die Berliner- und die Bergstraße in Neukölln zusammenzulegen und in „Karl-Marx-Straße“ umzubenennen. Der Beschluss trat 1947 in Kraft.

 

Für das weiterhin von Emil Milling betriebene Blumengeschäft bedeutete dies, das seine Geschäftsadresse nunmehr nicht mehr „Bergstraße 39“, sondern „Karl-Marx-Straße 178“ lautete, da sich zudem auch die Hausnummern des jetzt vom Hermannplatz bis zur Grenzallee reichenden Straßenzugs änderten.

 

Bis zum Anfang der 1960er Jahre führte Herr Milling sein inzwischen weithin bekanntes Fachgeschäft in der Karl-Marx-Straße. Die Beziehung zu seiner zweiten Frau blieb jedoch kinderlos. Daher übernahm Anfang der 1960er Jahre seine erste Blumenbinderin, Frau Brückner, nach dem Ruhestand Emil Millings und seiner Frau das Geschäft, das sie bis Ende 1972 erfolgreich betrieb.


Frau Ingeborg Freihoff, die gleichfalls noch als Blumenbinderin unter Emil Milling gearbeitet hatte, übernahm das Geschäft 1973. Die heutige Inhaberin, Frau Angelika Horn (damals noch Hardt), eine gelernte Floristin, erwarb das Geschäft am 15. November 1995 von Frau Freihoff.  Der Name „Blumen-Jette“ geht, wenn auch eher indirekt, auf die Eltern von Frau Horn zurück. Denn von diesen war sie nur kurz „Jette“ genannt worden – einem sehr persönlichen Spitznamen.

 

Am 27. September 2023 schloss Frau Horn nun für immer ihren geliebten Blumenladen. Als Grund hierfür gibt sie an, dass sie durch den Erfolg ihres Geschäftes dieses nicht mehr allein zu tragen vermag. Die Power fehlt inzwischen für rund 80 Stunden Arbeit in der Woche. Ihr Privatleben kam dadurch zu kurz. Ein kleines Revival wird es jedoch auch nach der Schließung geben: als „Jettes Blumen-Werkstatt“ wird Frau Horn sich um ihre Geschäftskunden und um, nach Vorbestellung, spezielle Arrangements wie etwa Hochzeitsgebinde für Privatkunden kümmern – sozusagen als „Halbtagsrentnerin“. 

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Der Blumenladen in der Karl-Marx-Straße zu Zeiten der Frau Brückner.

| Der Blumenladen in der Karl-Marx-Straße zu Zeiten der Frau Brückner.


Frau Freihoff (links) und ihre Mutter während einer Straßenfeier in der Karl-Marx-Straße im Jahr 1985.

| Frau Freihoff (links) und ihre Mutter während einer Straßenfeier in der Karl-Marx-Straße im Jahr 1985.

Der Blumenladen in der Karl-Marx-Straße zu Zeiten der Frau Freihoff.

| Der Blumenladen in der Karl-Marx-Straße zu Zeiten der Frau Freihoff.

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Am 15. November 1995 übernimmt die heutige Inhaberin Frau Horn (damals noch Hardt) den Blumenladen in der Karl-Marx-Straße von ihrer ehemaligen Chefin Frau Freihoff.

| Am 15. November 1995 übernimmt die heutige Inhaberin Frau Horn (damals noch Hardt) den Blumenladen in der Karl-Marx-Straße von ihrer ehemaligen Chefin Frau Freihoff.  "Blumen-Jette" ist der neue Name des Geschäftes nach dem Spitznamen, den ihr einst ihre Eltern gegeben hatten.

8 | Letzte Fotos vor der Schließung

Nachdem ich den Bericht über den Nachfolger im alten Geschäft von Musik-Bading, Herrn Andreas Schneider (SchneidersLaden) fertiggestellt hatte, wurde es auch einmal Zeit Frau Horn einen Besuch in ihrem fast neunzigjährigen Floristikfachgeschäft "Blumen-Jette" abzustatten. 

 

Eine freundliche Dame empfing mich. Ob ich denn ein paar Fotos von Ihrem Laden machen dürfe. Gern willigte sie ein. Und im Laufe meiner Kameraarbeit kamen ich mit der Inhaberin Frau Horn an jenem 7. Juli 2023 zunehmend ins Gespräch. All die vielen Ereignisse aus der Geschichte des Geschäftes wurden nun präsent und zeigten, welche Bedeutung der Laden stets auch für den Kiez gehabt hat. Am Ende des Besuches dann die überraschende Mitteilung, das Sie Ihr Geschäft zum Herbst hin schließen wolle.

 

Ich bin dankbar, Frau Horn und ihren Laden „Blumen-Jette“ im Rahmen meiner Berichte über Traditionsgeschäfte in der Karl-Marx-Straße noch kennengelernt zu haben. Sie wird, wie so vieles, fehlen in jener für Neukölln immer noch wichtigen Einkaufsmeile.



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Der Laden von Frau Horn in der Neuköllner Karl-Marx-Straße im Juli 2023. Die Auswahl auch an Balkon- und Gartenpflanzen ist, neben den Schnittblumen, groß.

| Der Laden von Frau Horn im Juli 2023. Die Auswahl auch an Balkon- und Gartenpflanzen ist, neben den Schnittblumen, groß. 

Frau Horn während unseres Gespräches für zeit-fuer-berlin.de in ihrem Blumenladen in der Karl-Marx-Straße am 7. Juli 2023.

| Frau Horn während unseres Gespräches für zeit-fuer-berlin.de in ihrem Blumenladen in der Karl-Marx-Straße am 7. Juli 2023.

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Im sommerlichen Gegenlicht strahlt der Laden ein besonderes Flair aus, das einem für einen Moment vergessen lässt, das man sich in der vielbefahrenen Karl-Marx-Straße befindet.

| Im sommerlichen Gegenlicht strahlt der Laden ein besonderes Flair aus, das einem für einen Moment vergessen lässt, das man sich in der vielbefahrenen Karl-Marx-Straße befindet. Wer wohl ganz links meine Visitenkarte in der Hand hält...

Es gibt so diese Dinge, die einem gleich beim betreten eines Geschäftes auffallen. Hierzu gehören die einst typischen Bruchsteinplatten aus den 1950er Jahren.

| Es gibt so diese Dinge, die einem gleich beim betreten eines Geschäftes auffallen. Hierzu gehören die einst typischen Bruchsteinplatten aus den 1950er Jahren.


| Am 15. November 2023 veranstaltete Frau Horn noch ein kleinen Abschiedsumtrunk für Stammkunden, Kollegen usw. Natürlich war auch zeit-fuer-berlin.de eingeladen. Frau Horn wurde zum Abschied mit allerlei Geschenken bedacht, darunter auch diesen "Star of Fame" den sie stolz in die Kamera hält.