Geschichte eines Gaststättengebäudes
Zum Umsteiger Yorckstraße
Geschichte eines Gaststättengebäude
Vorgeschichte1
1 | Vorgeschichte
Bild und Text: Lutz Röhrig
An einem kühlen Februartag im Jahr 2016 war es soweit. Mein Dienst endete und ich ging in Richtung Yorckstraße. Endlich wollte ich einmal dem dortigen, längst zur Kultkneipe" gewordenen Lokal „Zum Umsteiger“ einen Besuch abstatten. Es sollte, was ich damals nicht wusste, höchste Zeit werden, denn bald würde dies nicht mehr möglich sein.
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Meine Kamera hatte ich dabei und so ging kurzentschlossen hinein, bestellte ein Bier und fragte dabei die Bedienung, ob ich denn hier ein paar Fotos machen könne. Ja, kein Problem. Ich schicke Ihnen aber noch meinen Mann, der kann Ihnen etwas über die Kneipe erzählen. Die Dame ging zu einem runden Tisch am Fenster, an dem ein weißgelockter Herr inmitten von ein paar Gästen saß. Ick komme meine Holde, hörte ich da nur von weitem. Und tatsächlich, ein überaus gut gelaunter Wirt kam an meinem Tisch, stellte sich mit „Hans-Werner Sens“ vor und begann anhand von ein paar alten, schnell hervorgekramten Bauplänen die Geschichte des Gebäudes zu erzählen. Der erste Eigentümer wäre ein Herr Louis Grandjean gewesen.
| Ein Blick in den Umsteiger am Tag meines Besuches. Am Tisch im Hintergrund links an der Wand mit blauem Pullover Hans-Werner Sens. rechts an der Tür mit roter Strickjacke: Die "Holde", Hans-Werners Ehefrau Manuela Sens. Man erkennt an den verzierten Ecken am Büffet an der Wand (auf dem die Gläser stehen), dass dieses noch aus der Eröffnungszeit des Lokals im Jahre 1905 stammt.
| Das perfekt an die gebogene Wand angepasste "Verlobungs-Bänkchen" gehört neben dem Buffet ebenfalls zu den wenigen Einrichtungsgegenständen, die noch aus der Zeit der Eröffnung des Restaurantgebäudes im Jahre 1905 stammen.
Aus dieser Zeit stamme noch, so Sens, die an die gebogene Wand der Wendeltreppe angepasste Sitzbank, die damals den Namen „Verlobungs-Bänkchen“ erhalten habe und das Büfett hinter dem Tresen, an dem seine Ehefrau Manuela, von ihm meist „seine Holde“ genannt, gerade stehen würde und die mich auch bedient hatte. Gesprochen wurde über das Wasser im Keller und wie er einst, an der Ampel wartend, den Gedanken gefasst habe, seine Tätigkeit als Versicherungsvertreter ad Acta zu legen. „Irgendwann“, so Herr Sens, käme bei jedem der Punkt an dem er sich fragen würde, wie lange er seinen Job noch machen wolle und ob es da nicht noch etwas anderes gebe…
Eine Gans, die ihm Karl- Heinz Mühlenhaupt - von ihm nur „Kalle“ genannt –schuldete, gab den letzten Anstoß.
Mit dem Generalpächter des Umsteigers wie auch der beiden benachbarten Ladenlokale (einem Trödelladen und einem Imbiss) war er schon seit langem befreundet. Ein Telefonat mit ihm und die zufällige Klage Mühlenhaupts, das gerade der Wirt des Umsteigers gekündigt habe, führte dazu, dass Herr Sens im Jahre 2004 nunmehr neuer Pächter des Lokals „Zum Umsteiger“ werden sollte. Herr Sens machte seine Sache gut, die Kneipe blühte und gedieh. Sein Ruhestand 2017 und der Verkauf der Kneipe an zwei junge Herren jedoch erwiesen sich als für die Gaststätte als fatal. Der Umsteiger schloss 2018 für immer seine Türen.
In der Zwischenzeit war hinter dem Gebäude des Umsteigers entlang der Bautzener Straße ein 2 ha großes Wohnquartier mit rund 300 Mietwohnungen, einem Supermarkt und kleineren Geschäften entstanden. Die Bahn hatte 2010 das alte, nur von wenigen Schuppen und einigen Gleisresten durchzogene Grundstück, zu dem auch der Umsteiger gehörte, verkauft. Das die Wohnanlage zur Yorckstraße hin abschließende Fitnesszentrum und ein kleines Café rahmen dabei das heute etwas verloren wirkende Haus des Umsteigers ein. Wünschenswert wäre, wenn der dem Gebäude des ehem. Umsteigers benachbarte Bahnhof Yorckstraße (S2) seine alte Fassade samt Dach zurückbekäme. So würde das kleine Restaurantgebäude, das seit 2013 unter Denkmalschutz steht, optisch aufgefangen und wieder, wie damals im Jahre 1905, Teil eines im Stil der Märkischen Backsteingotik gehaltenen Ensembles werden.
Die Geschichte des Ortes liegt jedenfalls dem auch für die Wohnanlage an der Bautzener Straße verantwortlichen Projektentwickler "HamburgTeam" sehr am Herzen. 2024 wurde ich auf Grund meines Artikels „Gebt dem Bahnhof sein Dach zurück“ mit der Einsichtnahme der Bauakten wie auch der Darstellung der Historie des ehem. Restaurantgebäudes beauftragt. Ob auch die Bahn dieser eigentlich an sie gerichteten Intention folgt? Wenn man sich etwas wünschen darf…
| Die "Holde", wie Herr Sens seine Frau Michaela nannte, in ihrem Revier, der Theke. Stammgäste fühlten sich im "Umsteiger" und dessen urigen Charme wohl.
| Wer möchte da nicht sofort ein Bierchen bestellen... Links eines der beiden Fenster zur Yorckstraße.
| Die Ecke neben der Theke war so etwas wie Herr Sens sein Büro. Beeindruckend die Deko an den Wänden, die gemäß dem Namen des Lokals und seiner Lage dem Berliner Verkehr gewidmet ist.
| Unmittelbar neben der Außenwand des Restaurantgebäude führte eine Treppe von der Yorckstraße hinauf auf das Niveau des Bahndamms. So konnten die damals sich hier befindenden Speditionsgebäude und das alte Contorgebäude (gelbes Gebäude in Bildmitte) direkt von der Yorckstraße aus erreicht werden. Das Contorgebäude wurde zum Zeitpunkt der Aufnahme (2015) noch vom Generalpächter Karl-Heinz Mühlenhaupt bewohnt. Rechts die bereits rekonstruierte, jedoch noch auf ihren alten Widerlagern liegende Brücke der Dresdner Bahn. Sie ist die älteste noch erhaltene des gesamten Brückenensembles.
2 | Einleitung
Wer heute die Yorckstraße entlanggeht oder fährt, der stößt inmitten einer langen Reihe von teils historischen, teils modernen Eisenbahnbrücken auf ein altes, durch seine der märkischen Backsteingotik verpflichteten Ziegelsteinarchitektur geradezu malerisch wirkendes Gebäude, dessen winziger Grundriss und Zierlichkeit einen irgendwie an Fantasy-Filme á la Harry Potter denken lassen. Die mit leicht geöffneten sichelförmigen Schwingen auf den Konsolen links und rechts inmitten des spitzen Dachgiebels sitzenden beiden Adler tragen das ihrige zu diesem Eindruck bei.
Doch warum errichtete der Wilmersdorfer Gastwirt Louis Grandjean ausgerechnet hier inmitten der damals noch 45 Eisenbahnbrücken ein Restaurantgebäude, das zudem in der für ein Privatgebäude der Jahrhundertwende doch eher untypischen Stilistik der Märkische Backsteingotik statt z. B. im damals populären Jugendstil gehalten war. Beide Fragen lassen sich nur im Kontext zur Geschichte des Ortes beantworten.
Die nachfolgenden Kapitel beschäftigen sich daher mit die Historie des Ortes, der Stilistik der entlang der Yorckstraße von der Bahn errichtete Gebäude sowie der ausgeführten Bauten des Architekturbüros Klitscher & Afdring
3 | Lage
Möchte man den Entschluss des in Wilmersdorf lebenden Gastwirtes Louis Grandjean verstehen, ausgerechnet hier, inmitten der damals rund 45 Eisenbahnbrücken ein Gasthaus zu errichten, so muss man, wie immer bei zeithistorischen Projekten, einen Blick in die damaligen Verhältnisse des Standortes tun.
Wer sich heute im Bereich der Yorckbrücken umschaut, der kann sich angesichts der auf einem Hochplateau liegenden Grünanlagen und der mittlerweile im Umfeld entstandenen Wohnanlagen kaum mehr die frühere Geschäftigkeit vorstellen, die hier angesichts der vielen, einst für den Güter- und Personenverkehr der Bahn errichteten Anlagen herrschte, zu denen noch die Beschäftigten der diversen, am Rande des Bahngeländes ansässigen Speditionen und Baufirmen mit ihren Lagerplätzen und Bürogebäuden kamen. Doch was war eigentlich die Ursache dieser Ballung von Bahnanlagen ausgerechnet hier, weitab vom Berliner Stadtzentrum.
| Blick durch einen Teil der Yorckbrücken in Richtung Kreuzberg. Vor einiger Zeit wurden einige der Brücken restauriert. Hierzu zählt auch die vorn zu sehende, während die hintere noch einer Überarbeitung bedarf. Das gesamte Ensemble der Yorckbrücken steht auf Grund seiner eisenbahngeschichtlichen Bedeutung unter Denkmalschutz.
| Lennés Bebauungsplan für die Tempelhofer und Schöneberger Feldmark, um 1857. Der Plan ist gesüdet, das Berliner Stadtgebiet liegt am unteren Rand. Links unten der "Belle-Alliance- Platz vor dem "Hallesche Tor". Der Landwehrgraben, für dessen Ausbau zum schiffbaren Kanal Lenné ebenfalls zuständig war, bildet hier die Grenze der damaligen Bebauung. Mit "Bassin" ist der spätere Schöneberger Hafen bezeichnet. Der von Lenné geplante Prachtboulevard verläuft hier noch gradlinig von links nach rechts. In seiner Mitte liegt der achteckige "Wahlstattplatz".
Da die nördlich des Landwehrkanals gelegenen Bahnhofsgebäude der Potsdamer- und der Anhalter Eisenbahn, die zu den ältesten und am stärksten frequentierten Bahnhöfen Berlins gehörten, auf verhältnismäßig kleinen, nahe der damaligen Zoll- und Akzisemauer Berlins gelegenen Grundstücken errichtet worden waren, blieb hier nur wenig Platz für eine Erweiterung der für einen Bahnbetrieb notwendigen Nebenanlagen wie Abstellgleise, Betriebswerkstätten, Lokbehandlungsanlagen und Güterabfertigungen. Diese mussten daher südlich des Landwehrkanals errichtet werden.
Diese sich angesichts des stetig wachsenden Beförderungsaufkommens immer weiter in südliche Richtung ausdehnenden Anlagen sorgten schließlich dafür, das die ursprünglichen städtebaulichen Planungen des auf Grund seiner Planungen für die Potsdamer Schlösserlandschaft und dem Berliner Tiergarten bekannten Landschaftsarchitekten Peter Joseph Lennés und später auch des Berliner Stadtbaurates James Hobrecht in diversen Verhandlungen mit den einflussreichen Bahngesellschaften immer wieder korrigiert werden mussten.
Der von Lenné als gradlinigen Prachtboulevard geplante sog. "Generalszug" - Gneisenaustraße, Yorkstraße, Blücherstraße, Wahlstattplatz-, Bülowstraße, Nollendorfplatz, Kleist- und Tauentzienstraße, Tiergarten - erhielt daher im Bereich der Bahnanlagen jenen bis heute typischen trapezförmigen "Knick", um den Anlagen der Bahngesellschaften mehr Raum zu verschaffen.
Die als dritte Eisenbahngesellschaft nun zu den übrigen beiden hinzutretende Berlin - Dresdner- Eisenbahngesellschaft, deren Anlagen zwischen der Anhalter- und Potsdamer Eisenbahn entstanden, sorgte dann auch noch für den Wegfall des durch Lenné an der Yorckstraße vorgesehenen Wahlstattplatzes (Blücher war Fürst von Wahlstatt). Die Idee Lennés, den Generalszug zu einem Prachtboulevard auszubauen, war damit zumindest im Bereich der Bahnanalgen gescheitert.
Die Verstaatlichung der Eisenbahnlinien, die zum 1. Oktober 1877 mit der in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenen Berlin - Dresdner - Eisenbahngesellschaft begann, ermöglichte dann endlich auch die Höherlegung der bis dahin noch im Straßenniveau verlaufenden Gleisanlagen südlich des Landwehrkanals mit den großen Güterbahnhöfen. Die nördlich des Kanals befindlichen Anlagen der großen Personenbahnhöfe waren schon durch die Gesellschaften selbst beim Neubau ihrer Bahnhöfe entsprechend angepasst worden, wodurch auch die den Betrieb hinderlichen Drehbrücken im Landwehrkanal entfallen konnten. Die letzte dieser Drehbrücken, die der Berlin - Potsdamer- Bahn, bestand allerdings wegen ihres am Kanal liegenden Lokschuppens und dem Gleis zum Schöneberger Hafen noch bis 1888.
Die Yorckstraße geriet durch die Höherlegung des sie umgebenden Bahngeländes und den notwendigen, das Terrain absichernden Klinkermauern, die zugleich der Aufnahme der Wiederlage der die Straße querenden Brücken dienten, in eine Art Tunnellage, unterbrochen nur von den Freiräumen zwischen den Anlagen der einzelnen Bahngesellschaften.
| Lennés Bebauungsplan für die Tempelhofer und Schöneberger Feldmark, um 1858/59. Das Berliner Stadtgebiet befindet sich links. Lennés Prachtboulevard ist hier schon auf Grund der Bahnanlagen im mittleren Teil ein ganzes Stück nach Süden verschoben. Doch auch diese Planung sollte im weiteren Verlauf nicht zur Ausführung kommen. So entfiel beispielsweise der zwischen den Bahnanlagen verlaufende Stichkanal.
| Situationsplan des Potsdam- Anhalter und Dresdner Bahnhofs, Berlin und seine Bauten 1877. Auch dieser Plan zeigt noch nicht in allen Teilen den tatsächlichen Zustand. Die etwa in Bildmitte senkrecht von oben nach unten verlaufende heutige Yorckstraße (bis 1909 noch "Yorkstraße", wobei der im Bereich der Bahnanalgen verlaufende Teil bis 1885 als "Blücherstraße" bezeichnet wird) wird von einer Vielzahl an Gleisen durchzogen. Zwischen dem neu errichteten Bahnhöfen der Potsdamer- (unten links) und Anhalter Bahn (links oben) liegt der Schöneberger Hafen. Nicht ganz der tatsächlichen Ausführung entsprich das im Bogen vom Hochplateau des Anhalter Bahnhof zum Hafen hin abfallende Anschlussgleis, das aus Platzgründen statt dessen eine Fahrstuhlanlage für Güterwagen erhielt.
Der stetig steigende Personenverkehr insbesondere aus den rasant wachsenden Vororten führten bald dazu, das die bisherigen Strecken durch die Anlage separater Vorortgleise erweitert werden mussten. Und über die "Südring-Spitzkehre zum Potsdamer Bahnhof wurde zudem ein Anschluss an die Ringbahn geschaffen, was den Bau weiterer Brücken erforderte. Am Ende waren es 45 Brücken, die nun die Yorckstraße querten.
Zugleich mit der notwendigen Trennung des Fern- vom Vorortverkehr entstanden im Umkreis der Yorckstraße die stark frequentierten Vorortbahnhöfe "Großgörschenstraße" (1. Oktober 1891) an der Wannseebahn (mit einem Verbindungsgang zum Bahnhof "Schöneberg" und damit zur Ringbahn) und "Yorkstraße" für den Vorortverkehr der Anhalter- und Dresdner Bahn (1. Mai 1903).
Für den Bau und den Betrieb eines Restaurants hat sich damit zu Beginn des 20. Jahrhunderts an der Yorckstraße ein perfektes Umfeld ergeben. Denn der Umsteigeverkehr zwischen den beiden Vorortbahnhöfen zur Straßenbahn oder Bus, all die vielen Bahnarbeiter der benachbarten Güterbahnhöfe, der Wagen- und Lokbehandlungsanlagen, Stellwerke und des geplanten Zollpackhofes sowie die zahlreichen, sich an den Randbereichen der Bahnanlagen ansiedelnden Baustoffbetriebe und Fuhrwerksunternehmen ließen ein hohes Aufkommen an potentiellen Gästen erwarten, das nur noch eines entschlossenen Wirtes bedurfte, der unbedingt hier ein Lokal errichten wollte.
Ein Mitte der 1920er Jahre entstandenes Foto verdeutlicht, wie umfangreich die Bahnanlagen an der Yorckstraße einmal waren. Man kann anhand des Bildes nur ahnen, wie viele Angestellte und Arbeiter hier einst auf dem Gelände ihren Dienst versahen. Die künftige Lage des Restaurantgebäudes inmitten dieses Umfeldes versprach daher eine gute wirtschaftliche Basis.
Die zum Zeitpunkt des beabsichtigten Baus des Restaurantgebäudes bereits hier vorhandenen beiden Vorortbahnhöfe der Dresdner- und Anhalter Bahn sowie der Wannseebahn und der gerade in Planung begriffene Zollpackhof der Anhalter Bahn an der Ecke zur Möckernstraße sorgten jedoch nicht nur für entsprechende finanziellen Erwartungen Grandjeans, sondern gaben damit aber auch die für die Zeit des Jugendstils ungewöhnliche, eher in die Vergangenheit weisende Stilistik vor, der sich das Restaurantgebäude anzupassen hatte. Daher sei hier kurz auf diese Bauten näher eingegangen.
| Reichsbahnkalender, ca. 1925. Die etwa in Bildmitte verlaufende Yorckstraße ist aus auf Grund der vielen über sie hinwegführenden Brücken kaum zu erkennen. Im Hintergrund ist die gewaltige Bogenhalle des Anhalter Bahnhofs zu erkennen, davor der diesseits des Landwehrkanals liegende Anhalter Güterbahnhof. Links davon das Bahnbetriebswerk des Anhalter Bahnhofs, das heute Teil des Museums für Verkehr und Technik ist. Links außerhalb des Fotos befände sich der Bahnhofs Yorckstraße.
| Fassadenriss des alten Bahnhofs Großgörschenstraße von 1891.
Bahnhof Großgörschenstraße
Erstes Gebäude in der damals insbesondere für den preußischen Bahnhofsbau maßgeblichen Stilrichtung der Märkischen Backsteingotik war im Bereich der Yorckbrücken der am 1. Oktober 1891 eröffnete Bahnhof Großgörschenstraße. Dieser befand sich, anders als der heutige Bahnhof „Yorckstraße (Großgörschenstraße)“ von 1939, ca. eine Bahnsteiglänge weiter südlich an der namensgebenden Großgörschenstraße.
Einen Tag vor der Eröffnung des neuen, nun direkt an der Yorckstraße liegenden Bahnhofs „Großgörschenstraße (Yorckstraße)“ im Zusammenhang mit dem Bau des Nord-Süd-S-Bahntunnels, wurde der alte Bahnhof Großgörschenstraße am 8. Oktober 1939 geschlossen und später abgebrochen.
Zollpackhof der Anhalter Bahn
Der letzte, im Bereich der Yorckstraße im Stil der märkischen Backsteingotik errichtete Zweckbau der Preußischen Staatsbahn war der von 1905 – 07 errichtete Zollpackhof der Anhalter Bahn an der Yorck- Ecke Möckernstraße.
Das riesige, im Krieg schwer beschädigte Gebäude war gewissermaßen das Entree zu den rund 45 Eisenbahnbrücken, welche die Yorckstraße damals querten. Das 2023 zu Gunsten von Wohnungsbauten abgerissene Gebäude wurde auf zeit-fuer-berlin.de ausführlich dokumentiert.
| Fassadenriss des Zollpackhofs der Anhalter Bahn.
| Bahnhof Yorckstraße um 1900. Aus: Zeitschrift der Bauverwaltung, 1909. Auf dieser Aufnahme, welche die Zeitschrift der Bauverwaltung hier selbst noch im Jahre 1909 verwendet, gibt es das benachbarte Restaurantgebäude noch nicht. An die den Damm nach rechts abstützende Mauer wurde das Restaurantgebäude später einfach angebaut.
Der Bahnhof Yorckstraße
Der ständig steigende Vorortverkehr der bislang nur zweigleisigen Anhalter Bahn bedingte bald die Anlage separater Vorortgleise mit zusätzlichen Stationen, welche die neu entstandenen Siedlungen und Vororte entlang der Bahnstrecke besser erschließen sollten. Die 9,32 km lange Strecke begann am Potsdamer Bahnhof, der einen ergänzenden Ring- und Vorortbahnsteig erhielt und endete in Lichterfelde Ost.
Eine der neuen Stationen an der Anhalter Vorortbahn war der Bahnhof Yorckstraße, der am 1. Mai 1903 eröffnet wurde und nun auch den Vorortverkehr der Dresdner Bahn aufnahm.
Auf Grund der engen Platzverhältnisse musste das in der Stilistik der Märkischen Backsteingotik gehaltene Bahnhofsgebäude in den Bahndamm hineingebaut werden, was die Anlage eines Hofes notwendig machte. Denn nur so konnten die im Erdgeschoß liegenden Räumlichkeiten auch seitlich durch zusätzliche Fenster belichtet werden.
Während im Parterre die Schalterräume untergebracht waren, befanden sich in der Ersten Etage auch Wohnungen. Diese waren über das auf dem Foto zu sehende Tor und dem Treppenhausturm direkt von der Straße oder über einen separaten Eingang auf der Gebäuderückseite auch von der Höhe des Bahndamms aus zu erreichen.
Das Bahnhofsgebäude blieb bis heute weitgehend erhalten, verlor jedoch durch Umbauten oder Kriegseinwirkung sein Dach. Zudem wurde auch die Straßenfront durch eine das Ziegelmauerwerk verdeckende Putzschicht und einen veränderten Eingangsbereich versachlicht
| Bahnhof Yorckstraße, Blick von der zum Bahnsteig führenden Treppe (links) zur Schalterhalle (im Hintergrund). Der Bahnhof hat in seinem Inneren viel von der ursprünglichen Ausstattung bewahren können. Hierzu gehört die braun-weiße Befliesung mit der typischen Bemusterung sowie die aufwendige Eckgestaltung des unter den Gleisen hindurchführenden Gewölbes. Auch bemerkenswert: die anderen Ortes längst verlorengegangenen Handläufe samt Auflagern an den Treppenwänden.
| Bahnhof Yorckstraße, Blick von der Schalterhalle zur Bahnsteigtreppe. Erhalten blieben hier die Obergadenfenster sowie der Großteil des Bodenbelags. Die Schalterräume wurden indes weitgehend zugemauert. Auch der Eingangsbereich einschließlich der Türen wurde zu einem unbekannten Zeitpunkt verändert.
4 | Das Restaurationsgebäude
Planung und Genehmigungsprozess
Leider lässt sich nicht aus den zur Verfügung stehenden Akten erschließen, wie es genau zu der Vereinbarung zwischen der Bahn und Louis Grandjean, dem aus Wilmersdorf stammenden Pächter und Bauherren des Gaststättengebäudes, kam. Sämtliche bislang bekannten Dokumente beziehen sich lediglich auf den Planungs- und Bauverlauf.
Die ersten Dokumente finden sich für das Frühjahr 1905, lassen aber auf einen längeren Vorlauf schließen: Am 7. Februar werden von Louis Grandjean die durch das "Atelier für Architektur und Bauausführungen, Klitscher & Afdring" angefertigten Zeichnungen und statische Berechnungen zum Bau des Restaurationsgebäudes dem Königlichen Polizeipräsidium III. zur Prüfung zugesandt. Das Präsidium weißt im Zuge der Bearbeitung am 10. Februar das Polizei- Revier 71 an, ein "Nachbarschaftsprotokoll" anzufertigen.
| Bauakte des Restaurationsgebäudes, 1905. Depesche des Maurermeisters Otto Bars aus Friedenau vom 12. Februar 1905.
| Bauakte des Restaurationsgebäudes, 1905. Abschrift der Depesche von Louis Grandjean vom 3. April 1905. Erläuterung zur korrigierten Zeichnung, Seite 1.
Am 11.2.1905 erfolgt offenbar als Antwort auf die Veranlassung eines Nachbarschaftsprotokolls, dass das "fragliche Gebäude auf Eisenbahnfiskalischem Gelände" errichtet wird und daher die "Königliche Eisenbahn - Betriebsinspektion 8 am Askanischen Platz 5" zuständig sei. "Dieselbe hat laut Vermerk auf beiliegender Zeichnung gegen das Bauprojekt nichts einzuwenden. Andere Nachbarn kommen nicht in Betracht".
Am 12. Februar 1905 fragt der Maurermeister Otto Bars aus der Prinz-Handjery-Straße 71 per Depesche im "Königlichen Polizei-Revier 73, Wartburgstraße 71", um Genehmigung an, am nächsten Tag mit den Ausschachtungsarbeiten für das "Restaurationsgebäude, Yorckstraße, Parzelle 113, dort am Bahnhof Yorckstraße, Eigentümer Louis Grandjean in Wilmersdorf, Berliner Straße 124", beginnen zu können. Das Schreiben wurde der 2.Königlichen - Bau - Inspektion übermittelt.
Die Genehmigung für den Bauentwurf, so die Antwort, ist jedoch Grandjean am 15.2.1905 versagt worden. So fehlte etwa ein Lageplan und die Zufuhr von Licht und Luft zum Erdgeschoßabort schien auf Grund des ungewöhnlich tiefen Lichtschachts nicht ausreichend geregelt. Dieser "Lichtschacht" war notwendig, da die Rückseite des Gebäudes, an der auch der Abort lag, in den Bahndamm hineingebaut werden musste. Am 17. Februar wurde Grandjean darüber per Einschreiben unterrichtet.
Grandjean hatte keine andere Wahl als die Bauunterlagen entsprechend den Forderungen der Behörden zu korrigieren bzw. zu ergänzen. Bereits rund vier Wochen später, am 25.3.1905, ließ er die neuen Unterlagen in dreifacher Ausführung den Genehmigungsbehörden zukommen.
Die Anlage einer vom Keller bis in das oberste Stockwerk durchgehenden Wendeltreppe verteidigt Grandjean mit der "Kleinteiligkeit der Baustelle", also dem geringen Grundrissmaßen des Gebäudes und einer hierdurch erzwungenen möglichst rationellen (platzsparenden) Ausführung. Etwaigen Sicherheitsanforderungen entgegnet er mit dem zweiten zusätzlichen Zugang zur Wendeltreppe in Höhe des Bahndamms. Zudem erklärte er, dass nur durch eine Wendeltreppe die notwendige Kopffreiheit gewährt werden kann. Außerdem wird die Treppe nur von ihm als Pächter und seiner Familie benutzt.
Am 19. April 1905 erhält Grandjean die erhoffte Genehmigung. Auch der Bauschein mit der Nummer 384 wird zeitgleich ausgestellt.
| Bauakte des Restaurationsgebäudes, 1905. Abschrift der Depesche von Louis Grandjean vom 3. April 1905. Erläuterung zur korrigierten Zeichnung, Seite 2.
Klitscher & Afdring
Für die Planung des Gebäudes und der damit verbundenen Erstellung der statischen Berechnungen und der Anfertigung von Bauzeichnungen für den Genehmigungsprozess war, wie zuvor beschrieben, das „Atelier für Architektur und Bauausführungen, Klitscher & Afdring“ beauftragt worden, das zu diesem Zeitpunkt in der Friedenauer Hauffstraße 5-6 ansässig war (1910 zog das Büro dann nach Steglitz in die Schönhauser Straße 26). Die Architektursozietät von Hermann Klitscher und Hermann Afdring, über die trotz ihrer zumindest lokalen Bedeutung wenig bekannt ist, war vor allem in Schöneberg und Steglitz aktiv.
Zum Vergleich seien hier beispielhaft zwei Gebäude kurz vorgestellt:
Schmargendorfer Straße 32 in Friedenau, 1903-04
(heute genutzt durch die Botschaft von Jamaika)
Handjerystraße 42-43 in Friedenau 1908
Allen Bauten gemeinsam ist die gegenüber dem Restaurantgebäude in der Yorckstraße trotz vergleichbarer Entstehungszeit völlig andere Architekturauffassung, die eher dem Jugendstil oder der Reformarchitektur zurechnen ist. Vermutlich auf Wunsch der Bahn ist eine dem benachbarten Bahnhof Yorckstraße entsprechende Architektur gewählt worden, die zudem den Gesamtensemble der bahneigenen Bauten entlang der Yorckstraße entsprochen hat.
Heute fehlt dieser Bezug, da der Bahnhof Yorckstraße in seiner Fassade erheblich verändert und der alte, zum Zeitpunkt des Baus des Restaurationsgebäudes bereits geplante Zollpackhof am Kreuzberger "Eingang" zu den Yorckbrücken 2013 für den Wohnungsbau abgerissen worden ist. Auch den alten Bahnhof Großgörschenstraße gibt es leider nicht mehr.
| Kunstvoll vergitterte Eingangstür des Vorderhauses Schmargendorfer Straße 32. Im Ehemaligen Schlossereigebäude der Fa. Klemme befindet sich heute die Botschaft von Jamaika.
| Das Eckgebäude Schmiljanstraße 21 (links) und Handjerystraße 42-43 (rechts), das Klitscher & Afdring 1908 errichteten.
| Fassadenseite an der Handjerystraße. Bereits bei Fertigstellung war im Erdgeschoss ein Lokal eingezogen. Heute nutzt ein Pflegedienst die Räume und auch den ehem. Biergarten.
| 1903 -1904 errichteten Klitscher & Afdring im Hof des Gebäudes Schmargendorfer Straße 32 für den Schlossermeister Heinrich Klemme ein Schlossereigebäude. Heinrich Klemme, gehörte mit seinem Betrieb zur Herstellung von Gittern und Ornamenten zu den größten Unternehmen seines Faches. Am 15. Januar 1909 konnte die Kunst- und Bauschlosserei, die zu diesem Zeitpunkt 20 "Beamte" (leitende Angestellte) und 180 Arbeiter beschäftigte, ihr 25jähriges Jubiläum feiern. Heute ist in dem Gebäude, das 1988–1990 durch Heinz Ostmann zu einem Bürogebäude mit Garagen umgebaut worden ist, die Botschaft von Jamaika ansässig.
| Man sieht es der kunstvollen Vergitterung des direkt vom Vorderhaus abgehenden Büroanbau an, was das Metier von Heinrich Klemme gewesen ist. Vor dem Ersten Weltkrieg begann Heinrich Klemme jedoch auch mit dem Bau der damals neu aufkommenden Zentralheizungsanlagen.
Baubeschreibung
Die Lage des teils im Bahndamm errichteten Restaurationsgebäudes erforderte, wie auch schon beim Bahnhof Yorckstraße, besondere bauliche Maßnahmen. So ruhten die Träger der Kellerdecke etwa auf einer besonderen, gleichzeitig auch den Bahndamm nach hinten abstützenden Betonmauer. Oberhalb dieser wurde eine weitere, nach hinten leicht versetzte Betonmauer errichtet, die damit Raum für ein rückwärtiges Fenster zum Erdgeschoß ließ.
In der Höhe der ersten Etage war das Niveau der Bahnanlagen erreicht. Um auch von hier einen Zugang zum Gebäude zu ermöglichen – denn das Restaurantgebäude besaß einen auf dem Bahndamm befindlichen, rund 13 m langen Hof - errichtete man eine Art Brücke, welche den freien Raum zwischen Bahndamm und den Fenstern im Erdgeschoss überspannte. Heute gibt es diese Brückenkonstruktion nicht mehr, der freie Raum zwischen den einstigen Erdgeschossfenstern und der Tür auf Höhe des Bahndammniveaus wurde mit Brettern überdeckt, die einen Belag aus Dachpappe erhielten.
Die Erschließung des Gebäudes erfolgte durch eine im rückwärtigen Teil des Gebäudes befindliche schmiedeeiserne Wendeltreppe, die von den Innenräumen durch eine der Treppe folgende gebogene Wand getrennt war. Die Treppe wurde durch an der Gebäuderückseite befindliche Fenster belichtet, die heute nur noch im Ansatz zu sehen sind und keine Funktion mehr erfüllen.
Auch die Tür in Höhe der ersten Etage führte direkt auf ein kleines Zwischenpodest der Wendeltreppe. Das über dieser Tür von außen erkennbare kleine, inzwischen durch Metallelemente zugesetzte Fenster belichtete ebenfalls diese Treppe im oberen Bereich. Die Wendeltreppe endet heute stumpf in Höhe der Treppenhaustür zu den Räumen des zweiten OG.
Um einen separaten, vom Gastraum unabhängigen Zugang für die Mieter – also im Wesentlichen des Eigentümers Grandjean - zu ermöglichen, gab es statt des heutigen, rechts von der straßenseitigen Eingangstür befindlichen Fensters eine weitere, erheblich schmalere Zugangstür, deren geringe Breite die oberhalb der ehemaligen Tür liegenden Fenster der ersten und zweiten Etage aufnehmen. Hierdurch wirkt das Gebäude leicht asymmetrisch, was aber den Reiz des Bauwerks nur erhöht.
Heute ist diese, längst durch ein Fenster ersetzte Tür ebenso verschwunden, wie die Trennwand, welche den so entstandenen kleinen Hausflur vom Gastraum trennte. Auch im Keller gab es eine derartige Trennwand, sodass die einzelnen Kellerräume vom Gang aus jeweils für sich betreten werden konnten.
Bis zur Fertigstellung des Gebäudes im Jahr 1905 wohnte Grandjean, so lässt es sich aus den Adressbüchern herauslesen, in einer Wohnung im benachbarten Bahnhofsgebäude.
Eine Kurzfassung des Berichtes über die Geschichte des Restaurantgebäudes des "Umsteigers" wurde in der der Septemberausgabe des Magazins "Stadtplan" des Projektentwicklers HamburgTeam veröffentlicht.